Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
hingeschafft hatte. Und diese Kreaturen mit meinen eigenen Augen zu sehen. Und genau das zu tun, womit der Alteste gedroht hatte, sie so tief in die Erde zu versenken, daß kein Sterblicher sie je finden und dem Tageslicht aussetzen könnte.
Es war leicht, sich das auszudenken, leicht, sich vorzustellen, daß sie sich so einfach würden abfertigen lassen.
Fünf Nächte, nachdem ich bei dem Ältesten gewesen war und genügend Zeit gehabt hatte, mir die Dinge durch den Kopf gehen zu lassen, lag ich in meinem Schlafzimmer, um mich auszuruhen, während durch die dünnen Vorhänge an meinem Bett das Licht der Lampen fiel. In dem gedämpften goldenen Licht lag ich da und lauschte den Geräuschen der schlafenden Stadt und glitt hinüber in einen leichten, glitzernden Wachtraum. Ich überlegte, ob der Älteste noch einmal zu mir kommen würde, ob er enttäuscht war, weil ich nicht zurückgekommen war - und noch während ich diesem Gedanken nachhing, merkte ich, daß wieder jemand an der Tür stand.
Jemand beobachtete mich. Ich fühlte es. Ich brauchte nur den Kopf zu drehen, um diese Person zu sehen. Und dann würde ich die Oberhand haben über den Ältesten. Ich würde sagen: ›Du bist also gekommen, in deiner Einsamkeit und Enttäuschung, und jetzt willst du mir mehr erzählen, nicht wahr? Warum gehst du nicht zurück und schweigst, um deine Geistergefährten zu kränken, die Bruderschaft der Asche?‹ Natürlich würde ich es so nicht zu ihm sagen. Aber in Gedanken sagte ich es so, und falls er es war, würde er es hören.
Der dort stand, rührte sich nicht vom Fleck. Dann, ganz langsam, glitt mein Blick zur Tür, und dort stand eine Frau. Aber keine gewöhnliche Frau, sondern eine prächtige Ägypterin mit einer Haut wie aus Bronze, mit kostbaren Juwelen geschmückt und wie eine Königin in edle steife Leinenstoffe gekleidet, und ihr schwarzes Haar reichte bis über die Schultern und war mit Gold durchsetzt. Es ging eine ungeheure Kraft von ihr aus, und ein unsichtbares übermächtiges Gefühl ihrer Gegenwart erfüllte den kleinen unbedeutenden Raum, den sie völlig in ihren Besitz nahm.
Ich richtete mich auf und schob die Vorhänge zurück, und die Lampen im Zimmer verloschen. Ich sah in der Dunkelheit, wie der Rauch gegen die Decke stieg, dünne graue Fahnen wie Schlangen, die sich nach oben schlängelten und dann verschwunden waren. Sie stand noch immer an der Tür, und das restliche Licht erhellte ihr ausdrucksloses Gesicht, die funkelnden Juwelen an ihrem Hals und ihre großen mandelförmigen Augen. Dann sagte sie mit lautloser Stimme: Marius , bring uns weg von hier, weg von Ägypten.
Dann war sie verschwunden.
Mein Herz klopfte wie wild, und ich lief in den Garten, um sie zu suchen. Ich sprang über die Mauer und stand in der leeren ungepflasterten Straße und lauschte.
Ich lief zu dem alten Viertel, wo ich die Tür gefunden hatte. Ich wollte in den unterirdischen Tempel, zu dem Ältesten, um ihm zu sagen, daß er mich zu ihr bringen mußte, ich hatte sie gesehen, sie hatte sich bewegt, sie hatte gesprochen, sie war zu mir gekommen! Ich war wie betäubt, aber als ich dann an der Tür war, wußte ich, daß ich nicht hinunterzusteigen brauchte. Wenn ich aus der Stadt ginge, bis hinaus in den Sand, würde ich sie finden. Sie führte mich bereits zu dem Ort, an dem sie war.
In der darauffolgenden Stunde sollte ich mich an die Kraft und die Geschwindigkeit erinnern, die mir in den Wäldern von Gallien zu eigen gewesen waren und die ich seither nie wieder benutzt hatte. Ich ließ die Stadt hinter mir, bis nur noch die Sterne Licht verbreiteten, und ging immer weiter, bis ich zu einem verfallenen Tempel kam. Dort begann ich zu graben. Eine ganze Schar Sterblicher hätte Stunden gebraucht, um die Falltür zu entdecken, aber ich fand sie sofort und konnte sie lüften, wozu Sterbliche niemals imstande gewesen wären.
Die gewundenen Treppen und Gänge, denen ich folgte, waren dunkel. Und ich verfluchte mich, weil ich keine Kerze mitgebracht hatte, aber ich war von ihrem Anblick so hingerissen gewesen, daß ich ihr wie ein Verliebter nachgejagt war.
›Hilf mir, Akascha‹, flüsterte ich. Ich streckte die Hände vor mir aus und bemühte mich, meine sterbliche Furcht vor der Dunkelheit zu unterdrücken, in der ich so blind war wie ein ganz gewöhnlicher Mensch.
Meine Hände stießen gegen etwas Hartes vor mir. Und ich blieb stehen, hielt die Luft an, versuchte mich zu beherrschen. Dann glitten meine Hände über
Weitere Kostenlose Bücher