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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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das harte Etwas, das sich wie die Brust einer menschlichen Statue anfühlte, ihre Schultern, ihre Arme. Aber das war keine Statue, nein, das hier, dieses Ding, war aus einem elastischeren Stoff gemacht, nicht aus Stein. Und als meine Hände das Gesicht gefunden hatten, erwiesen sich die Lippen als ein wenig weicher als alles andere, und ich zuckte zurück.
    Ich hörte mein Herz klopfen. Ich spürte die Erniedrigung der Feigheit. Ich wagte es nicht, Akaschas Namen auszusprechen. Ich wußte, daß dieses Etwas, dieses Ding, das ich berührt hatte, die Gewalt eines Mannes besaß. Es war Enkil.
    Ich schloß die Augen und bemühte mich, meinen ganzen Verstand zusammenzunehmen, an etwas anderes zu denken, als mich einfach umzudrehen und wie ein Wahnsinniger die Flucht zu ergreifen, und dann hörte ich ein trockenes, knisterndes Geräusch und sah hinter meinen geschlossenen Lidern ein Feuer.
    Als ich die Augen öffnete, sah ich an der Wand hinter Enkil eine brennende Fackel, und direkt vor mir erhob sich seine dunkle Silhouette, und seine lebendigen Augen sahen mich an, ohne eine Frage zu stellen, während die schwarzen Pupillen in einem trüben grauen Licht schwammen. Aber sonst war er völlig leblos, und seine Hände hingen schlaff am Körper herunter. Er war genauso geschmückt, wie sie es gewesen war, und auch er trug das prächtige Kleid der Pharaonen, und in sein Haar war Gold gewirkt. Seine Haut aber war, so wie bei ihr, am ganzen Körper mit Bronze überzogen, wie der Älteste gesagt hatte. Und wie er da so reglos und stumm vor mir stand und mich anstarrte, kam er mir vor wie die Inkarnation des Bösen.
    Und sie saß in der kahlen Kammer hinter ihm auf einer Steinbank, mit gebeugtem Kopf und baumelnden Armen, als wäre sie ein lebloser Körper, den man dorthin geworfen hatte. An ihrem Leinenkleid war ein Schmutzflecken, ihre Füße mit den Sandalen waren über und über mit Sand bedeckt, und ihre Augen starrten leer vor sich hin. Die perfekte Todeshaltung.
    Und er wie ein Steinwächter in der königlichen Grabstätte, der sich mir in den Weg stellte.
    Ich hörte von den beiden nicht mehr, als du von ihnen gehört hast, als ich dich hier auf der Insel mit hinuntergenommen habe in ihre Kammer. Und ich hatte das Gefühl, auf der Stelle tot umzufallen vor lauter Angst.
    Aber da war der Sand an ihren Füßen und an ihrem Kleid. Sie w»r zu mir gekommen! Das war sie!
    Dann hörte ich jemanden hinter mir im Gang. Mit schlurfenden Schritten kam er näher, und als ich mich umdrehte, sah ich einen der Verbrannten - wie ein Skelett sah er aus, mit schwarzem Zahnfleisch, aus dem die schwarzen Fangzähne ragten und sich in die glänzende bläulichrote Haut seiner Unterlippe bohrten.
    Fast hätte ich geschrien bei seinem Anblick, mit seinen knöchernen Gliedern, seinen krummen Beinen, seinen herunterbaumelnden Armen. Er kam wie eine Walze auf uns zu, unaufhaltsam, aber er schien mich nicht zu sehen. Er hob die Hände und wollte Enkil nach hinten schubsen.
    ›Nein, nein, zurück in die Kammer! ‹ flüsterte er mit leiser, krächzender Stimme. »Nein, nein!‹ Und jede Silbe schien ihn die letzte Kraft zu kosten, die er besaß. Mit seinen dürren Armen versuchte er die Gestalt wegzustoßen, aber sie rührte sich nicht vom Fleck.
    ›Hilf mir!‹ sagte er zu mir. ›Sie haben sich bewegt. Warum haben sie sich bewegt? Sie sollen wieder reingehen. Je mehr sie sich bewegen, desto schwerer bekommt man sie wieder hinein. ‹
    Ich starrte Enkil an und spürte Entsetzen, wie es jeden überkommen mußte, der diese Statue sah, die ganz offensichtlich lebendig war, aber nicht fähig oder gewillt, sich von der Stelle zu bewegen. Und während ich noch hinsah, wurde das Schauspiel vor mir noch gräßlicher, weil sich das schwarze Schreckgespenst jetzt mit einem Aufschrei auf Enkil stürzte und ihn schlug und kratzte, ohne ihm jedoch auch nur das geringste anhaben zu können. Aber mitanzusehen, wie sich dieses Ding, das eigentlich hätte tot sein müssen, derart gebärdete und völlig außer sich war, und wie dieses andere Ding dort so vollkommen gottähnlich und prächtig dastand, war mehr, als ich ertragen konnte.
    ›Hilf mir!‹ rief das Gespenst. ›Bring ihn zurück in die Kammer. Bring sie beide dorthin zurück, wo sie bleiben müssen.‹
    Wie hätte ich das tun sollen? Wie konnte ich Hand an ihn legen? Wie konnte ich mich erdreisten, ihn hinzuschubsen, wo er gar nicht hinwollte?
    ›Es wird ihnen an nichts fehlen, wenn du mir hilfst‹,

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