Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
westlichen Welt an. Und ich war ein Anhänger westlicher Ideen. Und ich lud durch das, was ich tat, Schuld auf mich.
Trotzdem sah ich, wie mächtig diese Götter waren, wie unvergleichlich schön. Sie genossen Freiheiten, die ich nie kennen würde. Und ich sah auch, wie sehr sie all jene verachteten, die sie anfochten.
Und ich sah, wie sie in den Ehrentempeln anderer Länder funkelnde Kronen trugen.
Und ich sah, wie sie nach Ägypten kamen, um das schöpferische mächtige Blut Des Vaters und Der Mutter zu stehlen, um zu verhindern, daß sich Der Vater und Die Mutter selbst verbrannten, damit die Herrschaft dieser dunklen schrecklichen Götter, für die all die guten Götter bezahlen mußten, endlich ein Ende fand.
Und ich sah, wie Die Mutter und Der Vater gefangengehalten wurden. Ich sah sie eingemauert, in einer unterirdischen Gruft unter Diorit- und Granitblöcken begraben, daß nur noch ihre Köpfe und ihr Hals herausragten. Auf diese Weise konnten die dunklen Götter Der Mutter und Dem Vater menschliches Blut zuführen, dem sie nicht widerstehen konnten, und gegen ihren Willen aus ihren Hälsen das mächtige Blut entnehmen. Und alle kamen sie, alle dunklen Götter der Welt, um von diesem ältesten Quell zu trinken.
Der Vater und Die Mutter schrien vor Qualen. Sie baten und bettelten darum, freigelassen zu werden. Aber das kümmerte die dunklen Götter nicht, die sich an solchen Qualen nur labten, genauso wie an dem menschlichen Blut, das sie tranken. Die dunklen Götter trugen menschliche Schädel mit sich herum, die an ihren Gürteln baumelten, und ihre Gewänder waren von Menschenblut befleckt. Die Mutter und Der Vater weigerten sich, Opfer entgegenzunehmen, aber das machte sie nur noch hilfloser. Ausgerechnet das, was ihnen die Kraft gegeben hätte, die Steine von ihrem Platz zu entfernen, Gegenstände durch bloße Geisteskraft in Bewegung zu setzen, wollten sie nicht annehmen.
Trotzdem wurden sie immer stärker.
Und Jahr für Jahr diese Qualen und Kriege zwischen den Göttern, Kriege zwischen Sekten, die dem Leben frönten, und denen, die dem Tode frönten. Zahllose Jahre, bis Die Mutter und Der Vater schließlich völlig verstummt waren und es niemanden mehr gab, der sich auch nur daran erinnern konnte, daß sie je jemanden beschworen oder daß sie gekämpft oder überhaupt gesprochen hatten. Dann kam die Zeit, zu der sich niemand mehr daran erinnern konnte, wer Die Mutter und Den Vater eigentlich eingesperrt hatte und warum Die Mutter und Der Vater niemals wieder freikommen durften. Manche glaubten nicht einmal, daß Die Mutter und Der Vater echt waren oder daß ihre Zerstörung irgend jemandem sonst schadete. Schließlich waren sie nur eine Legende.
Und währenddessen blieb Ägypten das alte Ägypten, und seine Religion blieb auch weiterhin unberührt von außen und entwickelte sich weiter zum Glauben an das Gewissen, an das Gericht nach dem Tode aller Wesen, ob arm oder reich, zum Glauben an das Gute auf Erden und an das Leben nach dem Tode.
Und dann kam die Nacht, in der Die Mutter und Der Vater ihr Gefängnis verlassen hatten, und jenen, die sich um sie kümmerten, wurde klar, daß sie die Steine nur selbst weggeräumt haben konnten. In aller Stille hatten sie unvorstellbare Kräfte gesammelt. Und doch standen sie wie Statuen da, lagen sich inmitten der schmutzigen und düsteren Kammer, in der sie jahrhundertelang festgehalten worden waren, in den Armen. Ihre Haut hatte einen matten Schimmer, und sie waren nackt, denn ihre Kleider waren schon längst vermodert und von ihnen abgefallen.
Wann immer sie von den Opfern tranken, die ihnen dargebracht wurden, bewegten sie sich mit der Trägheit eines Reptils im Winter, als hätte die Zeit eine völlig andere Bedeutung für sie bekommen, und Jahre waren für sie wie Nächte und Jahrhunderte wie Jahre.
Und die alte Religion war so mächtig wie eh und je, und sie war nicht aus dem Osten und auch nicht wirklich aus dem Westen. Die das Blut tranken, blieben auch weiterhin gute Symbole, die leuchtenden Bilder des Lebens in der Nachwelt, in deren Genuß selbst die niedrigste ägyptische Seele gelangen würde.
In diesen späteren Zeiten konnten nur die Bösewichter geopfert werden. Was bedeutete, daß die Götter den Menschen das Böse entzogen und die Menschen beschützten, und die lautlose Stimme des Gottes sprach den Schwachen Trost zu, indem sie ihnen die Wahrheiten weitererzählte, die der Gott in den Zeiten des Hungerns erfahren hatte: daß die Welt
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