Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
die Augen. Ich wollte nicht an Gabrielle denken. Gabrielle war fort, und nichts, was wir sagten, würde daran etwas ändern.
Und ich konnte es noch immer nicht hinnehmen, daß ich gehen mußte. Ich fühlte mich hier wie im Paradies. Aber ich stritt mich nicht länger. Ich wußte, daß es ihm ernst war, und ich wußte auch, daß er mich nicht zwingen würde. Er würde warten, bis ich mir wegen meines sterblichen Vaters Sorgen zu machen begann, und dann würde er mich zu sich kommen lassen und mir sagen, daß ich gehen mußte. Mir blieben nur noch ein paar Nächte.
»Ja«, erwiderte er zärtlich. »Und es gibt noch andere Dinge, die ich dir erzählen kann.«
Ich machte meine Augen wieder auf. Er sah mich geduldig an, voller Zuneigung. Meine Liebe zu ihm war so stark, daß es weh tat, wie bei Gabrielle. Ich fühlte, wie mir die Tränen kamen, und bemühte mich, sie zurückzuhalten.
»Armand hat dich viele Dinge gelehrt«, sagte er, und seine Stimme war ruhig, als wollte er mir helfen bei diesem stummen Kampf. »Und noch mehr hast du allein gelernt. Aber ein paar Sachen könnte ich dir vielleicht noch beibringen.«
»Bitte, tu’s«, sagte ich.
»Nun«, sagte er, »du bist sehr stark, du besitzt große Kräfte, aber du kannst von denen, die du in den nächsten fünfzig Jahren erschaffen wirst, nicht erwarten, daß sie so sind wie Gabrielle oder du selbst. Dein zweites Kind war nicht einmal halb so stark wie Gabrielle, und deine späteren Kinder werden noch viel schwächer sein. Das Blut, das du von mir hast, wird dir helfen, das zu ändern. Wenn du trinkst - wenn du von Akascha und Enkil trinkst, wozu du dich vielleicht entschließen wirst , dann würde es dir auch helfen. Aber wie auch immer: Von jedem von uns können in einem Jahrhundert nur so und so viele Kinder geschaffen werden. Und die neuen Sprößlinge werden schwächer sein. Allerdings muß das nicht unbedingt etwas Schlechtes bedeuten. Die alten Orden waren weise, sie wußten, daß Stärke ihre Zeit braucht. Und dann gilt immer noch die alte Weisheit: Du kannst Titanen oder Schwachköpfe schaffen, niemand weiß, warum und wieso.
Was geschehen muß, wird geschehen, aber wähle deine Begleiter mit Bedacht. Wähle sie aus, weil dir ihr Anblick gefällt, weil dir der Ton ihrer Stimme gefällt und weil sie große Geheimnisse in sich bergen, die du gern erfahren würdest. Mit anderen Worten, wähle sie aus, weil du sie liebst. Denn sonst wird es dir schwerfallen, ihre Gesellschaft zu ertragen.«
»Ich verstehe«, sagte ich. »Erschaffe sie aus Liebe.«
»Genau. Erschaffe sie aus Liebe. Und achte immer darauf, daß sie schon ein Leben gehabt haben, bevor du sie machst, und mach nie einen, der so jung ist wie Armand. Das war das schlimmste Verbrechen, das ich je begangen habe, daß ich den kleinen Armand genommen habe.«
»Aber du wußtest doch gar nicht, daß die Kinder der Finsternis kommen würden, um ihn dir wegzunehmen.«
»Nein. Trotzdem hätte ich warten sollen. Ich war einsam, deshalb habe ich es getan. Und wegen Armands Hilflosigkeit und weil sein sterbliches Leben so völlig in meiner Hand lag. Vergiß das nicht, hüte dich vor dieser Macht und der Macht, die man über diejenigen besitzt, welche im Sterben liegen. Die Einsamkeit, die uns erfüllt, und dieses Gefühl von Macht können genauso stark sein wie der Durst nach Blut. Wenn es Enkil nicht gäbe, gäbe es vielleicht auch keine Akascha, und wenn es keine Akascha gäbe, gäbe es vielleicht keinen Enkil.«
»Ja. Und nach allem, was du gesagt hast, begehrt er sie, und Akascha ist diejenige, die ab und zu…«
»Ja, das stimmt.« Sein Gesicht verdüsterte sich ganz plötzlich, und seine Augen bekamen einen Ausdruck von Vertraulichkeit, als würden wir uns Dinge zuflüstern und Angst haben, daß jemand anderer mithören könnte. Er wartete einen Augenblick, als überlegte er, was er sagen sollte. »Wer weiß, was Akascha tun würde, wenn es keinen Enkil gäbe, der sie festhält?« flüsterte er. »Und warum tue ich so, als würde er es nicht hören, auch wenn ich es nur denke? Warum flüstere ich? Er kann mich jederzeit vernichten, wann immer er will. Vielleicht ist Akascha die einzige, die ihn davon abhält. Aber was würde dann wohl aus ihnen selbst werden, wenn er mich abschaffte?«
»Warum haben sie zugelassen, daß die Sonne sie verbrannt hat?« fragte ich.
»Wie sollen wir das wissen? Vielleicht wußten sie, daß es ihnen nicht weh tun würde. Es würde nur jenen weh tun und jene
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