Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
bestrafen, die es ihnen angetan haben. Vielleicht wird ihnen in dem Zustand, in dem sie leben, nur ganz allmählich bewußt, was außerhalb von ihnen vor sich geht. So daß sie keine Zeit hatten, Kräfte zu sammeln, aus ihren Träumen zu erwachen und sich in Sicherheit zu bringen. Vielleicht waren ihre Bewegungen, nachdem es geschehen war- die Bewegungen von Akascha, die ich selbst gesehen habe -, nur möglich, weil sie von der Sonne geweckt worden waren. Und jetzt schlafen sie wieder mit offenen Augen. Und sie träumen wieder. Und nicht einmal trinken wollen sie.«
»Was hast du damit gemeint - wenn ich mich entschließen würde, ihr Blut zu trinken?« fragte ich. »Wieso sollte ich mich nicht dazu entschließen?«
»Das ist etwas, worüber wir beide nachdenken müssen«, sagte er. »Und schließlich besteht ja auch immerhin die Möglichkeit, daß sie dir gar nicht erlauben würden, von ihnen zu trinken.«
Ich begann am ganzen Körper zu zittern, als ich an diesen Arm dachte, der zum Schlag ausholte, um mich sechs Meter weit quer durch die Kapelle zu schleudern oder möglichst gleich direkt in den Steinboden zu rammen.
»Sie hat dir ihren Namen gesagt, Lestat«, sagte er. »Ich glaube schon, daß sie dich trinken läßt. Aber wenn du von ihrem Blut trinkst, wirst du bald überhaupt durch nichts mehr zu bezwingen sein. Schon wenige Tropfen werden genügen, um dich unglaublich stark zu machen, aber wenn sie dir gleich eine ganze Portion zugesteht, wird keine Kraft der Erde dir je wieder etwas anhaben können. Du mußt dir genau überlegen, ob du das wirklich willst.«
»Warum denn nicht?« fragte ich. »Warum sollte ich es nicht wollen.«
»Möchtest du vielleicht zu Asche verbrennen und unter Qualen weiterleben müssen? Möchtest du vielleicht, daß du von tausend Messerstichen durchbohrt oder von Gewehrkugeln durchlöchert wirst und trotzdem weiterlebst, eine zerfetzte Hülse, die sich nicht wehren kann? Glaub mir, Lestat, das wäre schrecklich für dich. Vielleicht würdest du sogar der Sonne ausgesetzt sein und müßtest weiterleben, bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, und hättest, wie die alten äyptischen Götter, nur den einen Wunsch: tot zu sein.«
»Aber dafür würde doch alles viel schneller verheilen, oder nicht?«
»Nicht unbedingt. Nicht ohne eine weitere Blutzufuhr von ihr. Die Zeit mit ihren gleichmäßig anfallenden menschlichen Opfern oder das Blut der Alten - das sind die Heilmittel. Aber vielleicht wünschst du dir auch, tot zu sein. Denk darüber nach. Laß dir Zeit.«
»Was würdest du an meiner Stelle tun?«
»Ich würde natürlich von JENEN, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN trinken. Ich würde trinken, um stärker zu werden, um fast unsterblich zu sein. Ich würde Akascha auf den Knien bitten, es mir zu erlauben, und dann würde ich mich in ihre Arme werfen. Aber das läßt sich leicht sagen. Sie hat bei mir noch nie zu einem Schlag ausgeholt. Sie hat mich noch nie zurückgewiesen, und ich weiß, daß ich ewig leben will. Ich würde das Feuer noch einmal auf mich nehmen. Ich würde die Sonne noch einmal auf mich nehmen. Alles, jedes Leid, nur um weiterleben zu können. Und vielleicht bist du dir noch gar nicht so sicher, ob du bis in alle Ewigkeit weiterleben willst.«
»Doch«, sagte ich. »Das will ich. Natürlich könnte ich so tun, als müßte ich erst noch darüber nachdenken, als wäre ich klug und besonnen und würde alles genau abwägen. Aber was hätte das für einen Sinn? Ich könnte dich ja doch nicht täuschen, nicht wahr? Du wußtest, was ich sagen würde.«
Er lächelte. »Dann wollen wir, bevor du gehst, noch einmal in die Kapelle gehen, um sie in aller Bescheidenheit zu fragen, und dann werden wir ja sehen, was sie sagt.«
»Und vorher vielleicht noch ein paar Antworten?« fragte ich. Mit einer Handbewegung forderte er mich auf, meine Fragen zu stellen. »Ich habe Geister gesehen«, sagte ich. »Diese lästigen Dämonen, von denen du mir erzählt hast. Ich habe gesehen, wie sie in Sterblichen und Wohnungen gehaust haben.«
»Darüber weiß ich nicht mehr als du. Die meisten Geister sind offenbar nur Erscheinungen, die nicht wissen, daß sie beobachtet werden. Ich habe nie mit einem Geist gesprochen und bin auch nie von einem angesprochen worden. Was die Plagegeister betrifft, da kann ich nur sagen, was auch Enkil schon gesagt hat: Sie toben vor Wut, weil sie keinen Körper haben. Aber da gibt es noch andere Unsterbliche, die viel interessanter sind.«
»Und was sind das
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