Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
bemühte mich, all diese Dinge im Kopf zu behalten. Aber ich war so schwach. So müde. Und dann, eines Abends, war Armand da. Zuerst dachte ich, es sei nur Einbildung. Er stand ganz still in dem verfallenen Salon und sah mit seiner kastanienbraunen kurzen Haarkappe im Stil des zwanzigsten Jahrhunderts und in seinem engen Anzug aus dunklem Stoff jünger aus denn je.
Sie mußte eine Sinnestäuschung sein, diese Gestalt, die ins Wohnzimmer kam und von oben auf mich herabsah, als ich neben der zerbrochenen Glastür auf dem Rücken am Boden lag und im Mondschein Sam Spade las. Bis auf das eine! Wenn ich mir schon einbildete, einen imaginären Besucher zu sehen, dann bestimmt nicht Armand. Ich starrte ihn an, und ein vages Gefühl von Scham beschlich mich, weil ich so häßlich war, weil ich kaum mehr war als ein Skelett mit hervorquellenden Augen, das dort lag. Dann widmete ich mich wieder dem Malteser Falken und bewegte die Lippen, als ich Sam Spades Worte mitsprach.
Als ich das nächstemal hinsah, war Armand noch immer da. Und ich wußte nicht einmal, ob es jetzt dieselbe Nacht oder schon die nächste war.
Er sprach von Louis. Schon eine ganze Weile.
Und da wurde mir klar, daß er mich damals in Paris in bezug auf Louis angelogen hatte. Louis war all die Jahre bei Armand gewesen, und Louis hatte mich gesucht. Louis war unten in der alten Stadt gewesen, hatte mich in der Umgebung des Hauses gesucht, wo wir so lange zusammengelebt hatten. Schließlich war er an diesen Ort hier gekommen und hatte mich durchs Fenster gesehen.
Ich versuchte es mir vorzustellen. Louis am Leben. Louis hier, so nahe, und ich hatte es nicht einmal gemerkt.
Ich glaube, ich stieß ein kurzes Lachen aus. Ich bekam einfach nicht in meinen Kopf, daß Louis nicht verbrannt war. Aber es war wirklich wunderbar, daß Louis noch lebte. Es war wunderbar, daß dieses hübsche Gesicht, die ausgeprägten Züge, diese sanfte, flehende Stimme hoch existierten. Mein schöner Louis lebte, war nicht kalt und tot wie Claudia und Nicki.
Aber vielleicht war er ja doch tot. Warum sollte ich Armand glauben? Ich kehrte zu meinem Buch im Mondschein zurück, wünschte mir, der Garten dort draußen wäre nicht verwuchert. Ich sagte Armand, daß ich es gut fände, eine gute Sache, wenn er in den Garten ginge und ein paar von den Blätterpflanzen rauszöge, weil er doch so stark sei. Vom Vordach im ersten Stock hingen Trichterwinden und Glyzinen und sperrten den Mondschein aus, und dann standen da auch noch die alten dunklen Eichen, die schon da gewesen waren, als es in dieser Gegend nichts anderes gegeben hatte als Sümpfe.
Ich glaube nicht, daß ich das wirklich zu Armand gesagt habe.
Und ich erinnere mich auch nur ganz vage daran, daß Armand mir mitteilte, daß Louis ihn verlassen würde und daß er, Armand, nicht mehr weitermachen wolle. Seine Stimme klang hohl. Trocken. Aber wie er dort stand, erstrahlte er im Licht des Mondscheins, das sich nur auf ihm zu versammeln schien, und seine Stimme hatte noch immer ihren alten Klang, mit dem Unterton reiner Schmerzen.
Armer Armand. Und du hast mir erzählt, daß Louis tot sei. Geh und grab dir eine Kammer unter dem Lafayette-Friedhof. Er ist gleich am Ende der Straße.
Ohne gesprochene Worte. Ohne hörbares Lachen, nur das heimliche Vergnügen des Gelächters in mir. Ich sehe ihn noch ganz deutlich, wie er mitten in dem schmutzigen leeren Zimmer steht und die Bücher, die sich um ihn herum türmen, anstarrt. Durch die Risse im Dach hatte es hereingeregnet, und die Bücher waren aufgeweicht und verklebt, wie Ziegelsteine aus Papiermache. Ich sah es ganz deutlich, als er inmitten dieser Kulisse stand. Und ich wußte auch, daß alle anderen Zimmer im Haus genauso von Büchern umschlossen waren. Bis zu diesem Augenblick hatte ich nie darüber nachgedacht, erst als er sie sich betrachtete. Die anderen Zimmer hatte ich schon seit Jahren nicht mehr betreten.
Anscheinend ist er danach noch mehrmals wiedergekommen. Ich habe ihn nicht gesehen, aber ich habe ihn gehört, wenn er durch den Garten kam, in Gedanken nach mir suchte, wie ein Lichtstrahl.
Louis war in den Westen gegangen.
Einmal, als ich im Schotter unter dem Fundament lag, kam Armand an das Gitter und spähte zu mir herunter, und da sah ich ihn, und er zischte mich an und schimpfte mich einen Rattenfänger.
Du bist ja wahnsinnig - du, der einmal alles gewußt hat, du, der uns verspottet bat! Du bist wahnsinnig, und du ernährst dich von Ratten . Weißt du, wie
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