Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
meinem Schlaf gehört. Wie alle vernünftigen Leute in Paris hatten wir Tür und Fenster verrammelt. Wir waren sicher eingeschlossen.
Ich träumte von den Wölfen. Sie hatten mich auf dem Berg umzingelt, und ich schwang meine mittelalterlichen Waffen. Dann waren die Wölfe tot, und der Traum war nicht mehr so bedrückend, nur mußte ich jetzt meilenweit durch den Schnee stapfen. Das Pferd schrie auf und verwandelte sich in ein ekliges, halbzertretenes Insekt auf den Steinfußboden.
Eine tiefe, schleppende Stimme sagte »Wolfkiller«, ein Flüstern, das gleichzeitig wie eine Anklage und eine Huldigung klang.
Ich öffnete die Augen. Oder glaubte sie zu öffnen. Es stand jemand im Zimmer. Eine große, gebeugte Gestalt mit dem Rücken zu dem kleinen Kamin, in dem noch die Asche glühte, gerade genug, um die Umrisse der Gestalt bis zu den Schultern sichtbar werden zu lassen. Obwohl der Kopf in der Dunkelheit verharrte, wußte ich, daß ich geradewegs in das weiße Gesicht blickte, das ich im Zuschauerraum gesehen hatte. Und während ich aufwachte und meine Sinne sammelte, wurde mir klar, daß das Zimmer zugesperrt war, daß Nicolas neben mir lag und sich diese Gestalt über unser Bett beugte.
Ich hörte Nicolas atmen. Ich blickte in das weiße Gesicht.
»Wolfkiller«, raunte die Stimme wieder, ohne die Lippen zu bewegen. Die Gestalt kam noch näher, und ich sah, daß das Gesicht keine Maske war. Schwarze Augen, schnelle und kalte Augen, und eine weiße Haut und ein schrecklicher Geruch, wie modernde Kleider in einer feuchten Kammer.
Ich glaube, ich stand auf. Oder vielleicht wurde ich hochgehoben. Denn unversehens war ich auf den Beinen. Der Schlaf fiel wie ein alter Kittel von mir. Ich wich zurück.
Die Gestalt hatte meinen roten Mantel in Händen. Verzweifelt dachte ich an meinen Degen, meine Musketen. Aber die waren unter dem Bett. Der Fremde warf mir den roten Mantel um, und dann spürte ich seine Hand.
Ich wurde nach vorne gerissen, dann verlor ich den Boden unter den Füßen. Ich rief nach Nicolas, ich schrie »Nicki, Nicki!«, so laut ich konnte. Ich sah das halbgeöffnete Fenster, und dann zersplitterten die Scheiben plötzlich in tausend Scherben, und der Holzrahmen zerbarst, und ich flog über die Gassen, sechs Stockwerke über dem Pflaster.
Ich schrie. Ich trat gegen dieses Wesen, das mich trug, wand mich in dem roten Mantel, versuchte freizukommen. Aber schon flogen wir über den Dachfirst und sausten eine Ziegelmauer empor. Ich baumelte im Arm dieser Kreatur; die mich plötzlich neben einer Art Zinne fallen ließ.
Einen Augenblick lang lag ich da, sah Paris in weitem Bogen unter mir - den weißen Schnee, die Schornsteine und Glockentürme und die unheimliche Finsternis des Himmels. Dann stand ich auf, stolperte über den pelzgesäumten Mantel und rannte los. Ich rannte zum Rand des Daches und blickte hinunter.
Ein hundert Meter tiefer Abgrund! Ich rannte zur anderen Seite - der gleiche Anblick.
Verzweifelt drehte ich mich um, nach Atem ringend. Wir waren auf einem viereckigen Turm von kaum mehr als fünfzehn Metern Durchmesser. Und weit und breit war kein höheres Gebäude zu sehen. Und die Gestalt stand da und starrte mich an, und ihrer Kehle entwand sich ein tiefes, krächzendes Gelächter.
»Wolfkiller«, sagte sie erneut.
»Zum Teufel mit dir!« rief ich. »Wer bist du?« Und in einem Wutanfall schlug ich mit meinen Fäusten auf sie ein. Aber das Wesen rührte sich nicht. Ich hätte ebensogut auf die Ziegelmauer trommeln können. Ich prallte buchstäblich ab, mischte im Schnee aus, rappelte mich hoch und ging zu einem neuen Angriff über. Das Gelächter schwoll an, überschüttete mich genüßlich mit Hohn und Spott. Ich rannte bis zur Kante des Turms und drehte mich dann wieder zu der Gestalt um.
»Was hast du mit mir vor?« rief ich. »Wer bist du?« Aber statt einer Antwort hörte ich nur wieder dieses kreischende Gelächter, und da stürzte ich mich erneut auf sie. Aber diesmal attackierte ich mit zu Krallen gekrümmten Händen ihr Gesicht und ihren Hals und riß ihr die Kapuze vom Kopf und sah ihr schwarzes Haar und ihren Menschenkopf. Weiche Haut. Sie rührte sich so wenig wie zuvor.
Sie trat nur ein, zwei Schritte zurück und hob die Arme, um mich wie ein kleines Kind hin- und herzuschubsen. Blitzschnell bewegte sie ihren Kopf und wich ohne die geringste Mühe meinen Attacken aus, während ich wie besessen versuchte, ihr irgendwelche Verletzungen zuzufügen, aber nur gelegentlich
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