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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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bedeutete nichts im Licht der Frage, die ich ihr nun stellte. Wortlos abermals und nur im stummen Flug der Gedanken; dieser Frage, die ungeheuerlicher war, als daß sie je in Worte zu fassen gewesen wäre.
    Möchtest du jetzt mit mir kommt-? MÖCHTEST DU JETZT MIT MIR KOMMEN?
    Ich verberge dir nichts, weder meine Unwissenheit noch meine Angst, noch die schlichte Furcht, daß mein Versuch mißlingen könnte. Ich weiß nicht einmal, ob es mir vergönnt ist, mich öfter als einmal zu verschenken, und welchen Preis ich zu Zahlen habe, aber für dich nehme ich das Wagnis auf mich, und wir werden die verborgenen Geheimnisse und Schrecken gemeinsam entdecken, so wie ich alles andere bisher allein entdeckt habe.
    Aus ganzer Seele sagte sie ja.
    »Ja!« schrie sie plötzlich laut auf, trunken, mit einer Stimme, die vielleicht schon immer ihre Stimme gewesen war, die ich aber noch nie vernommen hatte. Ihre Augen schlössen sich, ihr Kopf drehte sich von links nach rechts. »Ja!«
    Ich beugte mich vor und küßte das Blut auf ihren geöffneten Lippen. Ein Zischen fuhr mir durch sämtliche Glieder, und meine Arme schlangen sich um ihren kleinen, leichten Körper und hoben sie hoch, und wir standen vor dem Fenster, und das Blut quoll aus ihren Lungen hervor, aber das war nun einerlei.
    Alle Erinnerungen an unser gemeinsames Leben umgaben uns, woben ihr Leichentuch um uns und verhüllten die Welt: die zarten Gedichte und Lieder der Kindheit und wie ich sie wahrgenommen hatte, noch ehe es Wörter für mich gab, sie in ihren Kissen und über ihr an der Decke nur ein Kerzenflackern und ihr Geruch und ihre einlullende Stimme, wenn ich plärrte, und dann die Zeit, da ich sie gleichermaßen haßte und brauchte, die Zeit, da ich sie hinter tausend geschlossenen Türen verlor, und dann ihre grausamen Antworten und ihre Gleichgültigkeit und ihre undefinierbare Kraft.
    Und in diesen Wirbel mischte sich der Durst, der ihr Wesen nicht auslöschte, sondern in allen Fasern destillierte, bis sie unter dem grausamen Druck meiner grausamen Finger und Lippen zu Fleisch und Blut, zur Mutter und Geliebten geworden war und zu allem, was ich mir je gewünscht hatte. Ich senkte meine Zähne in sie, spürte, wie sie keuchend starr und steif wurde, wie sich mein Mund weitete, um die heiße Flut aufzufangen.
    Ihr Herz und ihre Seele klafften auf. Sie hatte Alter und Zeit abgestreift. Mein Wissen um sie verflackerte, und dann hatte ich keine Mutter mehr; sie war einfach, die sie war. Sie war Gabrielle.
    Und ihr ganzes Leben bot ihr Schützenhilfe, die endlosen Jahre des Leidens und der Einsamkeit, die verschwendete Zeit in diesen feuchten, höhlenartigen Gemächern, in die sie verdammt war, und die Bücher, ihr einziger Trost, und die Kinder, die sie auslaugten und dann verließen, und Schmerz und Siechtum, ihre letzten Feinde, die ihr unter dem Vorwand, Freunde zu sein, Linderung versprochen hatten. Jenseits aller Worte und Bilder brach das Geheimnis ihrer Leidenschaft hervor, ihre Weigerung zu verzweifeln.
    Ich hielt sie, hielt sie in der Luft, meine Arme hinter ihrem schmalen Rücken verschränkt, und ich stöhnte so laut im Rhythmus ihres pulsierenden Blutes, daß mein Stöhnen zu einem Gesang mit ihrem Herzschlag verschmolz. Aber allzu schnell versiegte das Herz. Ihr Tod nahte, und mit aller Willenskraft kämpfte sie dagegen an, und in einem letzten Aufbäumen stieß ich sie von mir fort und hielt sie dennoch fest.
    Ich wäre beinahe in Ohnmacht versunken. Der Durst begehrte ihr Herz. Und ich stand da mit geöffnetem Mund und glasigen Augen, und ich hielt sie mit ausgestreckten Armen fest, weit von mir fest, als sei ich ein Doppelwesen, dessen eine Hälfte sie zermalmen, dessen andere sie einverleiben wollte.
    Ihre Augen waren geöffnet, nahmen aber nichts wahr. Einen Moment lang war sie allem Leiden entrückt, befand sich in einem Land, in dem nur Liebenswürdigkeit und sogar so etwas wie Verständnis herrschten, aber dann hörte ich sie meinen Namen rufen.
    Ich führte mein rechtes Handgelenk zu meinem Mund, biß die Schlagader auf und preßte sie ihr an die Lippen. Sie rührte sich nicht, als das Blut über ihre Zunge spritzte.
    »Trink, Mutter«, sagte ich lodernd und ließ noch mehr Blut vorquellen, aber in ihr hatte sich bereits eine Wandlung zu vollziehen begonnen. Ihre Lippen bebten, und ihr Mund hatte sich in mich verkeilt, und plötzlich durchzuckte mich der Schmerz und verkrampfte mein Herz.
    Ihr Körper streckte sich, spannte sich an, ihre

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