Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Linke umklammerte mein Handgelenk, während sie den ersten Strahl schluckte. Und immer heftiger wurde der Schmerz, so daß ich beinahe laut aufgeschrien hätte. Ich konnte den Schmerz sehen, wie er geschmolzenem Eisen gleich durch sämtliche Adern, Sehnen und Glieder strömte, angesogen von den gierigen Schlucken, mit denen sie wieder das Blut einnahm, das ich ihr geraubt hatte. Sie stand nun wieder auf ihren Füßen, den Kopf nur noch leicht an meine Brust gebettet.
Immer schneller und begieriger sog sie das Naß ein, und ich spürte, wie sie mich immer fester umklammerte und wie ihr Körper erstarrte. Ich wollte sie fortschieben und unterließ es doch, und als meine Beine versagten, war sie es, die mich aufrecht hielt. Ich taumelte, und das Zimmer verschwamm, aber sie ließ nicht ab, und eine bleierne Stille senkte sich über alles, und ohne es eigentlich zu wollen, stieß ich sie von mir.
Sie stolperte und stand am Fenster, die langen Finger flach gegen ihren geöffneten Mund gepreßt. Und ehe ich mich umdrehte und in dem nächsten Sessel zusammenbrach, warf ich einen Blick auf ihr weißes Gesicht, und sie schien unter ihrem dunkelblauen Taftkleid anzuschwellen, und ihre Augen hatten sich in zwei funkelnde Kristallkugeln verwandelt.
Ich glaube, ich sagte »Mutter«, ganz wie ein blöder Sterblicher, und ich schloß die Augen.
2
Ich saß in dem Sessel. Es schien, als hätte ich eine Ewigkeit geschlafen, aber in Wirklichkeit hatte ich keine Sekunde geschlummert.
Ich war zurück im Schloß meines Vaters. Ich suchte den Schürhaken und meine Hunde und schaute nach, ob noch Wein übrig war, und dann sah ich die golddurchwirkten Vorhänge an den Fenstern und die Rückseite von Notre Dame gegen das nächtliche Firmament, und ich sah auch sie.
Wir waren in Paris. Und wir würden ewig leben.
Sie hielt etwas in Händen. Einen Kandelaber und eine Zunderbüchse. Sie bewegte sich schnell und entschlossen. Sie entfachte einen Funken und zündete die Kerzen an, eine nach der anderen. Und die Flämmchen züngelten empor, und die Blumen auf den Tapeten kullerten zur Decke hoch, tanzten und tollten umher, um im nächsten Moment wieder in ihren Lichtkreisen zu erstarren.
Sie stand vor mir, den Kandelaber in ihrer Rechten. Und ihr Gesicht war weiß und unendlich sanft. Jeder Schönheitsfehler, jeder Makel, der sie verunziert haben mochte, war verschwunden. Sie war jetzt vollkommen.
Ihre Altersfalten hatten sich gleichzeitig geglättet und vertieft, so daß sich winzige Lachfältchen von ihren Augen- und Mundwinkeln fächerten. Und ihre Lippen schimmerten im zartesten Rosa. Sie glich einem zart funkelnden Diamanten, den das Licht umspielt. Ich schloß die Augen und öffnete sie wieder und sah, daß ich keinem Trugbild aufgesessen war. Und ich sah auch, daß ihr Körper eine noch gründlichere Metamorphose durchgemacht hatte. Sie war wieder zu einer jungen Frau erblüht. Ihre Brüste, die die Krankheit ausgedörrt hatte, waren über ihrem Korsett angeschwollen. Und ihr Haar schien geradezu zu leben. Es war derart von Farben durchsetzt, daß es wirkte, als ob es sich bewegte, Milliarden von winzigen Strähnen, die um ihr weißes Gesicht, ihren makellosen Hals herumwuselten.
Die Wunden an ihrem Hals waren verschwunden.
Jetzt mußte nur noch die letzte Mutprobe bestanden werden. Ihr in die Augen zu blicken. Mit Vampiraugen zum erstenmal ein Wesen meinesgleichen anzublicken, seit Magnus ins Feuer gesprungen war.
»Gabrielle«, flüsterte ich ihr zu, denn anders konnte ich sie von nun an nicht mehr nennen, auch wenn ich sie niemals zuvor so angeredet hatte, außer in meinen Tagträumen. Und ich sah, wie sie beinahe lächelte.
Ich betrachtete mein Handgelenk. Die Wunden waren verschwunden, aber der Durst tobte in mir. Meine Adern flehten mich an. Und ich starrte Gabrielle an und bemerkte, wie ihre Lippen leise zuckend Hunger verrieten. Und es war, als wollte sie mir sagen: »Verstehst du nicht?«
Aber kein Laut drang über ihre Lippen. Stille, nur der Blick ihrer schönen Augen und die Liebe vielleicht, die uns beide umfing, aber sonst nur die unergründliche Stille. Zog sie sich in sich selbst zurück? Ich fragte sie, ohne zu sprechen, aber sie schien nicht zu begreifen.
»Jetzt«, sagte sie, und ihre Stimme verblüffte mich, Sie war weicher und voller als zuvor. Einen Moment lang waren wir wieder in der Auvergne, es schneite, und sie sang mir etwas vor. Aber das war vorbei. Sie sagte: »Geh… wir haben es vollbracht,
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