Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
sie an, und es lief mir kalt über den Rücken. Sie war beinahe vollkommen menschlich in ihrer Entschiedenheit und Zielstrebigkeit und Konzentration,, und ihre Augen waren wieder von jener Tragik umschattet, die ich schon vorher bemerkt hatte. Aber als sie sich dem Mann näherte, war sie alles andere als menschlich. Sie war die personifizierte Raubgier geworden, und dennoch war sie eine Frau, die langsam auf einen Mann zuging - eine Dame sogar, die sich hilflos und ohne Schutz einem Gentilhomme näherte, um seinen hilfreichen Beistand zu erbitten. Sie war all das gleichzeitig.
    Es war ein greulicher Anblick, wie sie sich so über das Pflaster bewegte, fast ohne es zu berühren, und alles, sogar der Wind, der ihr Haar verwehte, schien ihr irgendwie zu gehorchen. Kein Zweifel, mit einem kräftigen Schritt hätte sie ohne weiteres durch die Mauer dringen können.
    Ich zog mich in die Dunkelheit zurück.
    Der Mann bewegte sich, drehte sich knirschend auf seinem Absatz um, und sie stellte sich auf die Zehen, als wollte sie ihm etwas ins Ohr flüstern. Ich glaube, sie hat ganz kurz gezögert. Vielleicht war sie doch ein wenig entsetzt. Doch dann nahm sie sich ihn, und er war machtlos, und ich war zu fasziniert, um etwas anderes zu tun, als zuzuschauen.
    Da fiel mir unvermutet ein, daß ich vergessen hatte, sie vor dem letzten Herzschlag des Opfers zu warnen. Wie hatte ich das nur vergessen können?! Ich eilte zu ihr, doch sie hatte bereits von ihm abgelassen. Er saß gegen die Mauer geschrumpelt, den Kopf zur Seite geneigt, den Hut zu Füßen. Er war tot.
    Sie stand da, betrachtete ihn, und ich sah, wie das Blut seine Wirkung tat, sie aufheizte, ihrer Haut und ihren Lippen Farbe verlieh. Sie warf mir einen Blick zu, und ihre Augen glichen einem violetten Blitz, fast genau von der Farbe des Himmels, als ich ihr Schlafzimmer betreten hatte. Ich beobachtete sie stumm, während sie leicht erstaunt in den Anblick ihres Opfers versunken war, als würde sie nicht so recht ihren Augen trauen. Ihr Haar war völlig zerzaust, und ich ordnete es ein wenig.
    Sie sank mir in die Arme, und ich geleitete sie fort. Sie drehte sich noch ein- oder zweimal um, dann blickte sie nur noch geradeaus.
    »Das reicht für diese Nacht. Wir sollten uns in den Turm begeben«, sagte ich. Ich wollte ihr meine Schätze zeigen, bei ihr sein an einem sicheren Ort, sie an mich drücken und trösten, falls sie von alldem überwältigt werden sollte. Auch machten sich ihre Todeskrämpfe wieder bemerkbar. Dort konnte sie sich am Kaminfeuer ausruhen.
    »Nein, ich möchte noch nicht gehen«, sagte sie. »Die Schmerzen werden schon nachlassen, du hast es ja versprochen, und dann möchte ich hier sein.« Sie sah zu mir hoch und lächelte. »Ich bin nach Paris gekommen, um zu sterben, oder?« flüsterte sie.
    Alles erregte ihre Aufmerksamkeit, der tote Mann da hinten, der in seinem Mantel zusammengesackt war, der Himmel, der sich in einer Pfütze spiegelte, eine Katze, die über eine Mauer huschte. Das Blut kochte in ihr, trieb sie an.
    Ich ergriff ihre Hand und drängte sie, mir zu folgen. »Ich muß trinken«, sagte ich.
    »Ja«, flüsterte sie. »Du hättest ihn nehmen sollen. Daran hätte ich früher denken… Du bist und bleibst ein Gentilhomme.«
    »Ein halbverhungerter Gentilhomme.« Ich lächelte. »Aber laß uns nicht über die Etikette streiten, das schickt sich nicht für Monster.« Ich lachte. Ich hätte sie geküßt, irgend etwas lenkte mich plötzlich ab.
    Unwillkürlich preßte ich ihre Hand zusammen.
    Weit weg, aus der Richtung von Les Innocents, vernahm ich die Anwesenheit wieder, eindringlicher als je zuvor.
    Wir blieben stehen, und sie neigte ihren Kopf langsam zur Seite, strich das Haar hinters Ohr.
    »Hörst du das?« fragte ich.
    Sie blickte zu mir hoch. »Einer von unserer Sorte!« Sie spähte in die Richtung, aus der die okkulte Strömung gekommen war.
    »Galgenvogel!« sagte sie laut.
    »Was?« Galgenvogel, Galgenvogel, Galgenvogel. Ein Schwindelgefühl bemächtigte sich meiner, die ferne Erinnerung an einen Traum. Das Bruchstück eines Traumes. Aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich mußte trinken.
    »Sie hat uns Galgenvögel genannt«, sagte sie. »Hast du es nicht gehört?« Und wieder lauschte sie, aber alles blieb ruhig, und ich war mir ohnehin nicht völlig sicher, ob ich dieses Galgenvogel gehört hatte.
    »Mach dir nichts draus«, sagte ich. »Was immer es auch ist, es bleibt auf Distanz.« Aber während ich noch sprach, wurde

Weitere Kostenlose Bücher