Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
lassen. Ich wollte die Verbindung mit der Zeit nicht verlieren.
»Lestat!« flüsterte sie. »Jetzt.« Mit einer kleinen, sanften Geste forderte sie mich zur Eile auf.
Ich tat, was ich schon zuvor getan hatte; ich sah sie an und beschloß, mich augenblicklich an ihre Seite zu begeben.
Wieder der peitschende Wirbelsturm; ich warf die Arme hoch und kämpfte gegen den Luftwiderstand an. Dann stand ich schwankend da, hatte Angst, hinunterzufallen.
Es klang, als würde ich lachen; aber ich glaube, daß ich nur ein wenig verrückt wurde. »Aber wie?« sagte ich. »Ich muß wissen, wie ich das vermochte.«
»Du kennst die Antwort«, sagte sie.
»Das körperlose Ding, das dich beseelt, hat jetzt viel mehr Kraft als zuvor. Es hat dich vorwärtsbewegt, wie schon immer. Ob du einen Schritt machst oder fliegst, das sind nur graduelle Unterschiede.«
Ich begab mich zu einem der kleinen, schmalen Fenster und blickte über das Land. Weit unten in den Bergen waren die dünngesäten Lichter einer kleinen Stadt. Ein Auto schob sich über die schmale Straße. Ach, die moderne Welt war so nahe und doch so weit entfernt. Das Schloß war der Geist seiner selbst.
»Warum hast du mich hierhergebracht?« fragte ich sie. »Es ist so schmerzlich, das sehen zu müssen, so schmerzlich wie alles andere auch.«
»Sieh dir doch mal die Rüstungen an«, sagte sie. »All die Geister vergangener Pracht, die sie hier wohl während der Revolution heraufgeschafft haben. Und sieh, was ihnen da zu Füßen liegt. Erinnerst du dich der Waffen, die du an dem Tag genommen hattest, als du auszogst, um die Wölfe zu töten?«
»Ja. Ich erinnere mich.«
»Schau sie dir noch einmal an. Ich werde dir neue Waffen geben. Unendlich viel wirkungsvollere Waffen, mit denen du für mich töten wirst.«
»Töten?«
Ich blickte auf das Waffenlager. Es schien verrostet und verrottet zu sein, bis auf den schönen alten Degen, der meinem Vater gehört hatte. Der Degen des Herrn, den ich, der siebente Sohn, benutzt hatte, als ich mich an diesem längst vergangenen Morgen wie ein mittelalterlicher Prinz aufmachte, um die Wölfe zu töten.
»Wen töten?« fragte ich.
Sie kam näher. In ihrem lieblichen Gesicht malte sich die reinste Unschuld. Ihre Brauen zogen sich zusammen, gruben kurz eine kleine, senkrechte Falte in ihre Stirn.
»Ich möchte, daß du mir gehorchst, ohne Fragen zu stellen«, sagte sie gütig. »Dann wirst du schon verstehen. Aber das ist nicht deine An, oder?«
»Nein«, gestand ich. »Ich habe es nie vermocht, jemandem zu gehorchen, wenigstens nicht sehr lange.«
»Wie furchtlos du bist«, sagte sie lächelnd.
Würdevoll öffnete sie ihre rechte Hand, und plötzlich hielt sie den Degen. Ich starrte ihn an, die juwelenbesetzte Scheide und den Bronzegriff, der natürlich ein Kreuz war. Noch immer hing der Gurt herab, der Gurt aus Leder und geflochtenem Stahl, den ich in einem längst vergangenen Sommer gekauft hatte.
Es war ein Monstrum von Waffe, mit der man zuschlagen, aufschlitzen und durchbohren konnte. Ich erinnerte mich, wie schwer sie war, wie mir mein Arm weh tat, als ich sie immer wieder gegen die angreifenden Wölfe einsetzte.
Ich hatte ein Tier mit dieser Waffe aufgespießt. Meine einzige Ruhmestat als Sterblicher, und was hat es mir eingebracht? Die Bewunderung einer fluchbeladenen Blutsaugerin, die mich zum Erben erwählt hatte.
Sie legte mir den Degen in die Hände. »Jetzt ist er nicht mehr schwer, mein Prinz«, sagte sie. »Du bist unsterblich. Wirklich unsterblich. Mein Blut ist in dir. Und du wirst deine neuen Waffen für mich so verwenden, wie du diesen Degen einst verwendet hast.«;.
Ein heftiger Schauder durchfuhr mich, als ich den Degen berührte. Es war, als berge dieses Ding noch meine alten Erinnerungen; ich sah wieder die Wölfe; ich sah mich in den eiserstarrten Wäldern stehen, bereit zu töten.
Und ich sah mich selbst, wie ich ein Jahr später in Paris war, tot, unsterblich; ein Monster, letztlich wegen dieser Wölfe. »Wolfkiller« hatte der Vampir mich genannt. Er hatte mich aus der großen Masse erwählt, weil ich diese Wölfe niedergemetzelt und ihren Pelz so stolz in den Straßen von Paris getragen hatte.
Warum war ich selbst jetzt noch verbittert? Wollte ich tot sein und unter dem Dorffriedhof begraben liegen? Ich sah wieder hinaus auf die schneebedeckten Hügel. Geschah jetzt nicht genau dasselbe? Wurde ich nicht wieder geliebt für das, was ich in jenen frühen, gedankenlosen Jahren der Sterblichkeit
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