Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
gewesen war? Wieder fragte ich: »Was soll ich töten? Wen?«
Keine Antwort.
Wieder dachte ich an Baby Jenks, dieses bedauernswerte kleine Wesen, und an all die Bluttrinker, die jetzt tot waren. Und ich hätte so gerne einen Krieg mit ihnen gehabt, einen kleinen Krieg. Aber sie waren alle tot. Alle, die den Schlachtruf erwidert hatten - tot. Ich weinte.
»Ja, ich habe dir dein Publikum genommen«, sagte sie. »Ich habe die Arena verbrannt, in der du glänzen wolltest. Ich habe dir die Schlacht gestohlen! Aber begreifst du nicht? Ich biete dir mehr an, als du jemals zu erreichen suchtest. Ich biete dir die Welt, mein Prinz.« »Wie das?«
»Spar dir die Tränen, die du um Baby Jenks und dich vergießt. Denk an die Sterblichen, um die du weinen solltest. Denk an jene, die die langen, traurigen Jahrhunderte durchlitten haben- die Opfer des Hungers und der Entbehrung und der Gewalt. Opfer unendlicher Ungerechtigkeit und endloser Feldzüge. Wie kannst du da um ein Monstergezücht weinen, das ohne Sinn und Verstand Schindluder mit jedem Sterblichen trieb, das ihm über den Weg lief!«
»Ich weiß. Ich verstehe…«
»Wirklich? Oder fliehst du nur diese Dinge, um deine symbolischen Spiele zu spielen? All die Symbole des Bösen in deiner Rockmusik. Das ist nichts, mein Prinz, gar nichts.«
»Warum hast du mich nicht mit all den anderen getötet?« fragte ich streitlustig. Ich umklammerte den Griff des Degens in meiner rechten Hand. Ich bildete mir ein, daß noch immer getrocknetes Wolfsblut an ihm klebte. Ich zog die Klinge aus der ledernen Scheide. Ja, das Wolfsblut. »Ich bin doch nicht besser als sie, oder?« sagte ich. »Warum überhaupt jemanden von uns verschonen?«
Angst ließ mich plötzlich innehalten. Schreckliche Angst um Gabrielle und Louis und Armand. Um Marius. Sogar um Pandora und Mael. Angst um mich selbst.
»Ich wollte, daß du mich liebst«, flüsterte sie zärtlich. Diese Stimme! In gewisser Hinsicht war sie wie Armands Stimme; eine Stimme, die einen liebkosen, einlullen und aufsaugen konnte. »Und darum nehme ich mir mit dir Zeit«, fuhr sie fort. Sie legte die Hände auf meine Arme, blickte mir in die Augen. »Ich möchte, daß du verstehst. Du bist mein Werkzeug! Und die anderen werden es auch sein, wenn sie klug sind. Begreifst du nicht? All dem liegt ein Plan der Vorsehung zugrunde - deine Ankunft, mein Erwachen. Die Hoffnung von Jahrtausenden kann endlich Wirklichkeit werden. Sieh dir die kleine Stadt an da unten und diese Schloßruine. Das könnte Bethlehem sein, mein Prinz, mein Erretter. Zusammen werden wir die ältesten Träume der Welt wahr werden lassen.«
»Aber wie, um Himmels willen?« fragte ich. Wußte sie, was für Angst ich hatte? Daß mich ihre Worte von einfacher Furcht in nacktes Entsetzen stürzten? Natürlich wußte sie das.
»Ah, du bist so stark, mein kleiner Prinz«, sagte sie. »Aber du warst mir bestimmt, ganz sicher. Nichts kann dich unterkriegen. Du hast Angst, und du hast keine Angst. Ein Jahrhundert lang habe ich zugesehen, wie du gelitten hast, wie du schwach geworden und schließlich unter die Erde gekrochen bist, um zu schlafen, und dann habe ich gesehen, wie du dich erhoben hast, ein Abbild meiner eigenen Auferstehung.«
Sie senkte den Kopf, als lauschte sie weit entfernten Geräuschen, Die Stimmen schwollen an. Ich hörte sie auch, vielleicht weil sie sie hörte. Ein brausendes Getöse. Und dann wischte ich es verärgert hinweg.
»So stark«, sagte sie. »Sie können dich nicht in ihren Strudel ziehen,
die Worte, aber achte deine Fähigkeit, sie hören zu können, nicht gering; sie ist genauso wichtig wie alle anderen Fähigkeiten, die du hast. Sie beten zu dir, genau wie sie immer zu mir gebetet haben.«
Ich wollte indessen ihre Gebete nicht hören; was konnte ich schon für sie tun? Was hatten Gebete mit dem Ding zu tun, das ich war?
»Jahrhundertelang waren sie mein einziger Trost«, fuhr sie fort. »Stunden-, wochen-, jahresweise hörte ich ihnen zu; anfangs schien es, als würden die Stimmen, die ich hörte, mir ein Leichentuch weben. Denn lernte ich, sorgfältiger zuzuhören. Ich lernte, eine einzelne Stimme herauszusondern. Und dann hörte ich nur dieser Stimme zu und konnte den Aufstieg und Niedergang jeder einzelnen Seele verfolgen.«
Ich beobachtete sie schweigend.
»Im Lauf der Jahre erwarb ich eine noch bedeutendere Fähigkeit -meinen Körper zu verlassen und mich zu dem Sterblichen zu begeben, dessen Stimme ich lauschte, um dann durch die
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