Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
schloß die Augen.
Wie nichtig kam ihm seine Verbitterung vor; es kam ihm in den Sinn, daß jener da jahrhundertelang nur hatte leiden müssen; daß die Begierden seiner Jugend der Ewigkeit anheimgegeben worden waren; jener, den er weder beschützt noch vervollkommnet hatte. Wie oft hatte er in all den Jahren von einem Wiedersehen geträumt, aber nie hatte er den Mut dazu gehabt; und nun, auf diesem Schlachtfeld, in dieser Zeit des Niedergangs und der Umwälzung, sollten sie einander endlich wiederbegegnen.
»Mein Geliebter«, flüsterte er. »Mein schöner Amadeo.«
Ihre Hände berührten einander.
Noch immer war dieses unnatürliche Fleisch geschmeidig wie Menschenfleisch, so kalt und so weich. Marius konnte nicht an sich halten; er weinte. Schließlich öffnete er die Augen, um die Knabengestalt zu sehen, die da vor ihm stand. So hingebungsvoll, so gefügig. Dann öffnete er seine Arme.
Durch seine Tränen sah er, daß ihm keinerlei Schuld zugewiesen wurde für das große Experiment, das so schmählich gescheitert war. Er sah das Gesicht, das er einst in einem venezianischen Palast gemalt hatte, inzwischen leicht verdüstert durch das, was wir naiverweise Weisheit nennen; und er sah dieselbe Liebe, auf die er in jenen vergangenen Nächten in Venedig so sehr gezählt hatte.
Hätten sie jetzt bloß Zeit gehabt, Zeit, die Ruhe des Waldes aufzusuchen, irgendeinen warmen, abgelegenen Platz im erhabenen Rotholz, um dort ganze Nächte hindurch miteinander zu sprechen. Aber die anderen warteten, und darum waren diese Augenblicke um so kostbarer, um so trauriger.
Er hielt Armand eng umschlungen. Er küßte seine Lippen und sein langes, loses Haar. Er ließ seine Hand begehrlich über Armands Schultern gleiten. Er blickte auf die schlanke weiße Hand, die er festhielt. Jedes Detail hatte er auf Leinwand festzuhalten versucht, damals.
»Sie warten, oder?« fragte er. »Sie gönnen uns jetzt nicht mehr als diese wenigen Augenblicke.«
Armand nickte. Mit leiser, kaum hörbarer Stimme sagte er: »Es ist genug. Ich habe immer gewußt, daß wir einander wiederbegegnen würden.« Ach, welch schöne Erinnerungen weckte der Klang seiner Stimme. Der Palazzo mit seinen Kassettendecken, seinen mit rotem Samt ausgeschlagenen Betten. »Sogar in Momenten größter Gefahr«, fuhr die Stimme fort, »wußte ich, daß wir einander begegnen würden, ehe ich die Freiheit hätte zu sterben.«
»Freiheit zu sterben?« antwortete Marius. »Wir haben doch immer die Freiheit zu sterben. Jetzt müssen wir den Mut haben, es auch zu tun, falls das der richtige Weg ist.« Armand schien darüber kurz nachzudenken. »Ja, das ist wahr«, sagte er. »Ich liebe dich«, flüsterte Marius plötzlich leidenschaftlich wie ein Sterblicher.
»Ich habe dich immer geliebt. Ich wollte, ich könnte jetzt an irgend etwas anderes als an die Liebe glauben; aber ich kann es nicht.«
Ein Geräusch unterbrach sie. Maharet war zur Tür gekommen. Marius legte den Arm um Armands Schulter. Ein letzter Augenblick des Schweigens und des Verstehens vereinigte sie. Dann folgten sie Maharet in einen riesigen Raum am Bergesgipfel.
Alles war aus Glas, außer der Wand hinter ihm und dem eisernen Kamin an der anderen Seite, dessen Feuer den Raum erleuchtete. Der Blick schweifte über die Wipfel der riesigen Bäume zu dem milden pazifischen Himmel empor mit seinen Dunstwolken und kleinen, ängstlichen Sternen.
Es war schön, und er mußte daran denken, daß er eben erst hoch da oben durch die Dunkelheit geschwebt war. Freude durchströmte ihn wieder wie schon beim Anblick von Maharets rotem Haar. Kein Kummer, wie an Armands Seite; einfach nur Freude. Ein Grund, am Leben zu bleiben.
Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß ihm Verbitterung oder Reue nicht gut zu Gesichte standen, daß er für derlei nicht geschaffen war und daß er sich augenblicklich zusammennehmen mußte, wollte er seine Würde wiedererlangen.
Ein kurzes Lachen begrüßte ihn, das freundliche, unaufdringliche Lachen eines Grünschnabels. Er lächelte und warf einen Blick auf Daniel. Daniel, der anonyme »Knabe« aus Gespräch mit dem Vampir. Sofort fiel ihm ein, daß dies Armands Kind war, das einzige Kind, das Armand je geschaffen hatte. Dieses überschwengliche und leicht angetrunkene Geschöpf war für seinen Weg auf des Teufels Straße mit allem ausgerüstet, was Armand nur geben konnte.
Rasch musterte er die anderen, die um den ovalen Tisch versammelt waren. In einiger
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