Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
belegt hatten, denen er wehrlos ausgeliefert gewesen war. Und plötzlich wurde ihm etwas klar…
»Du bist nicht die, die uns die Träume geschickt hat!« flüsterte er. »Du bist nicht die Quelle.« Sie schwieg.
»Gütiger Himmel, wo ist deine Schwester? Was hat das alles zu bedeuten?« Sie schreckte leicht zurück, als hätte er das Innerste ihres Herzens getroffen. Sie versuchte, ihre Gedanken zu verbergen, aber er spürte ihren Schmerz. Stumm sah sie ihn an, als wollte sie ihn wissen lassen, daß sie eine unverzeihliche Sünde begangen hatte.
Mael und Santino wagten nicht, etwas zu sagen; er spürte, wie sie es mit der Angst zu tun bekamen. Pandora kam noch näher und ergriff seine Hand, um ihn zuwarnen.
Warum hatte er sich so ungeduldig, mit so brutaler Offenheit geäußert? Ich hatte an meinem eigenen Unglück zu tragen… Aber sei’s drum!
Er sah zu, wie sie die Augen schloß und die Finger sanft gegen die Lider preßte, als wollte sie den Schmerz in ihren Augen vertreiben, aber es war vergeblich. »Maharet«, sagte er aufstöhnend. »Wir befinden uns in einem Krieg, und wir stehen auf dem Schlachtfeld und beschimpfen einander. Dabei will ich nur verstehen.«
Sie sah ihn scharf, fast gehässig an, wobei sie die Hand noch immer vor ihr Gesicht hielt. Aber er starrte nur ihre zart geschwungenen Finger an, die goldlackierten Nägel und die Rubin- und Smaragdringe, die plötzlich aufblitzten, als seien sie elektrisch geladen.
Ein schrecklicher Gedanke durchfuhr ihn - hörte er nicht auf, sich so dumm zu benehmen, würde er Armand vielleicht nie wiedersehen. Sie könnte ihn vertreiben oder noch schlimmer… und er wollte so gerne Armand sehen - ehe alles vorbei war. »Komm jetzt rein, Marius«, sagte sie plötzlich mit höflicher, vergebender Stimme. »Komm mit mir, und geh zu deinem alten Kind, und dann werden wir uns mit den anderen zusammentun, die dieselben Fragen haben. Wir werden anfangen.«
»Ja, mein altes Kind…« murmelte er. Die Sehnsucht nach Armand kam ihm wieder wie Musik vor, wie Bartoks Violinmelodien, die in einer entlegenen und sicheren Stätte gespielt wurden, wo es nichts anderes zu tun gab, als zuzuhören. Doch er haßte sie; er haßte sie alle. Er haßte sich selbst. Das andere Zwillingsmädchen, wo war das andere Zwillingsmädchen? Dschungelbilder blitzten auf. Er versuchte, Vernunft in seine Gedanken zu bringen, aber es gelang ihm nicht. Der Haß vergiftete ihn.
Schon oft hatte er beobachtet, wie die Sterblichen das Leben verdammten. Er hatte gehört, wie die Weisesten unter ihnen sagten:
»Das Leben lohnt sich nicht.« Und er hatte es nie zu ergründen gesucht; nun, jetzt verstand er es. Irgendwie begriff er, daß sie sich den anderen zugewandt hatte.
Sie hieß Santino und Pandora willkommen, forderte sie auf, einzutreten. Wie in Trance sah er, daß sie sich umdrehte und voranging. Ihr Haar strömte in einem Wust weicher roter Locken bis zu ihren Hüften. Er verspürte den Wunsch, es zu berühren, herauszubekommen, ob es wirklich so weich war, wie es aussah.
Erstaunlich, daß ihn in diesem Moment etwas Schönes abzulenken vermochte, so daß er sich geradezu wohl fühlte; als sei nichts geschehen. Ihm war, als sei der Schrein wieder in Ordnung; der Schrein im Mittelpunkt seiner Welt. Ah, das idiotische menschliche Gehirn, dachte er, wie es alles an sich reißt! Und der Gedanke, daß Armand wartete, so nahe…
Sie rührte sie durch eine Reihe großer, spärlich möblierter Zimmer. Trotz aller Weitläufigkeit hatte man das Gefühl, sich in einer Zitadelle zu befinden. Jetzt schritten sie durch eine Stahltür in das Innere des Berges. Erdgeruch umfing ihn. Sie durchmaßen mit Blech ausgeschlagene Korridore. Er konnte die Generatoren, die Computer hören, jenes einlullende elektronische Summen, das ihm in seinem eigenen Haus ein so hübsches Sicherheitsgefühl vermittelt hatte. Schließlich erreichten sie einen Treppenabsatz und betraten eine abgedunkelte Kammer. Eine geöffnete Tür rührte in einen wesentlich größeren Raum, wo die anderen warteten; aber Marius war zunächst nur von einem fernen Feuer geblendet, und er wandte seine Augen ab.
Jemand erwartete ihn in dieser Kammer, jemand, den er kaum wahrzunehmen vermochte. Eine Gestalt, die jetzt hinter ihm stand. Und als Maharet mit Pandora und Santino und Mael in den großen Raum ging, verstand er, was geschehen würde. Um seine Fassung wiederzugewinnen, atmete er langsam durch und
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