Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
Ich lehnte mich an den Türrahmen. Ich versuchte, mein rasendes Herz zu beruhigen.
Eine plötzliche Erinnerung an das Gemetzel in Azims Tempel befiel mich - ein flüchtiges Bild von mir selbst, wie ich durch die Menschenherde ging und meine unsichtbare Klinge benutzte, um festes Fleisch zu durchstechen. Durst. Oder war es einfach Lust? Ich sah wieder jene verstümmelten Gliedmaßen, sterbende Körper, die sich im Todeskampf krümmten, blutverschmierte Gesichter.
Das war ich nicht, das hätte ich nicht tun können… Doch ich hatte es getan.
Und nun konnte ich lodernde Feuer riechen, Feuer wie in Azims Hof, wo die Leichen verbrannt wurden. Der Geruch erfüllte mich mit Ekel. Ich wandte mich wieder dem Meer zu und atmete tief die klare Luft ein. Wenn ich es zuließ, würden die Stimmen kommen, Stimmen von der ganzen Insel und von anderen Inseln und auch vom nahen Festland. Ich konnte ihn spüren, den Klang; sie lagen auf der Lauer. Ich mußte sie vertreiben.
Dann hörte ich unmittelbarere Geräusche. Frauen in dem alten Wohnhaus. Sie näherten sich dem Schlafzimmer. Ich drehte mich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie die Flügeltüren geöffnet wurden und die Frauen, bekleidet mit einfachen Blusen und Röcken und Kopftüchern, in das Zimmer kamen; Frauen jeden Alters, die Vasen voller Blumen brachten und sie überall verteilten. Und dann trat eine der Frauen, ein zaghaftes, schlankes Ding mit wunderbar langem Hals, mit bezaubernder natürlicher Anmut vor. und begann, die vielen Lampen anzuschalten:
Der Duft ihres Bluts! Wie konnte er so stark und verlockend sein, wenn ich keinen Durst verspürte?
Plötzlich traten sie alle in der Mitte des Raumes zusammen und starrten auf mich; es war, als wären sie in Trance gefallen. Ich stand auf der Terrasse und sah sie nur an; dann wurde mir klar, was sie sahen. Mein zerrissenes Kostüm - die Vampirlumpen -, den schwarzen Rock, das weiße Hemd, den Umhang; und alles mit Blut besudelt.
Und meine Haut hatte sich deutlich verfärbt. Ich sah blasser und gespenstischer aus, natürlich. Und meine Augen müssen heller geleuchtet haben; aber vielleicht ließ ich mich auch nur durch ihre Reaktion täuschen.
Wann hatten sie schon jemals einen von unserer Art gesehen?
Wie auch immer… Das alles hatte etwas von einem Traum an sich: diese ruhigen Frauen mit den schwarzen Augen und den eher nüchternen Gesichtern, die da versammelt waren und dann nacheinander auf die Knie fielen. Ach, auf die Knie. Ich seufzte. Sie hatten den wahnsinnigen Gesichtsausdruck von Menschen, die aus der Normalität verstoßen waren; sie sahen eine Erscheinung, und die Ironie bestand darin, daß sie mir wie eine Erscheinung vorkamen.
Widerwillig las ich ihre Gedanken.
Sie hatten die Heilige Mutter gesehen. Als das galt sie hier. Die Madonna, die Jungfrau. Sie war in ihre Dörfer gekommen und hatte ihnen befohlen, ihre Söhne und Männer umzubringen, und selbst die Babys waren getötet worden. Und sie hatten es getan oder dabei zugesehen, und sie schwammen jetzt auf einer Welle von Glauben und Entzücken. Sie waren Augenzeugen eines Wunders; die Heilige Mutter selbst hatte zu ihnen gesprochen.
Und was stellte ich für sie dar? Nicht nur einen Gott. Nicht nur den Erwählten der Heiligen Mutter. Nein, etwas anderes, etwas, das mich verwirrte, als ich so, von ihren Blicken gefangen, von ihrem Glauben abgestoßen, dastand und gleichzeitig fasziniert und ängstlich war.
Ich fürchtete mich natürlich nicht vor ihnen, sondern vor allem, was geschah. Vor diesem köstlichen Gefühl, daß Sterbliche mich so ansahen, wie sie mich angesehen hatten, als ich auf der Bühne stand. Sterbliche, die mich ansahen und nach all den Jahren des Versteckens meine Macht spürten; Sterbliche, die gekommen waren, mich anzubeten. Sterbliche wie alle jene armen Kreaturen, die auf dem Weg in den Bergen verstreut lagen. Doch sie hatten Azim verehrt, oder nicht? Sie waren dorthin gegangen, um zu sterben.
Ein Alptraum. Ich muß das umkehren, ich muß das aufteilten, ich muß mich selbst davon abbringen, das oder irgendeine Variante davon gelten zu lassen!
leb weine, ich kann doch nicht glauben, daß ich wirklich … leb weiß doch, was ich bin, oder? Und das sind arme, unwissende Frauen, Frauen, für die Fernsehgeräte oder Telefone Wunderwerke sind, das sind Frauen, für die jede Veränderung an sich eine Art Wunder bedeutet… Und morgen werden sie aufwachen und begreifen, was sie getan haben!
Doch jetzt überkam uns -
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