Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
Eisentreppe hinunter und über die feuchte Erde; Marius schritt langsam und schwerfällig dahin, ganz wie ein menschliches Wesen sich bewegen würde.
»Und du bist dessen sicher?« fragte Louis ehrerbietig.
Marius blieb stehen. »O ja, ganz sicher.« Sie sahen sich einen Augenblick lang an, und wieder lächelte Marius. Der hier war so begabt und gleichzeitig so unbegabt; er fragte sich, ob das menschliche Leuchten aus Louis’ Augen verschwinden würde, wenn seine Macht zunahm, und ob wohl, zum Beispiel, ein bißchen von Marius’ Blut in seinen Adern floß.
»Ich will dir etwas sagen«, sagte Marius liebenswürdig. »Vom ersten Moment an, als ich Lestat kennenlernte, wußte ich, daß nichts ihn umbringen könnte. Das ist bei einigen von uns so. Wir können nicht sterben.« Dann umarmte er Louis herzlich. Nur ein wenig Blut, und Louis könnte stärker sein, sicher; doch dann könnte er die menschliche Zartheit, die menschliche Weisheit verlieren, die niemand an einen anderen weitergeben konnte, und die Gabe, die Leiden anderer zu erkennen, die bei Louis wahrscheinlich angeboren war.
Doch jetzt war die Nacht für ihn zu Ende. Louis gab Marius die Hand, dann drehte er sich um und ging in den Korridor mit den eisernen Wänden, wo Eric schon wartete, um ihm den Weg zu zeigen.
Dann ging Marius ins Haus hinauf.
Er hatte vielleicht noch eine ganze Stunde, bis die Sonne ihn zum Schlafen zwang, und so müde er auch war, wollte er darauf nicht verzichten. Der liebliche, frische Duft des Waldes war überwältigend. Und er konnte jetzt die Vögel hören und den klaren Gesang eines Flusses.
Er ging in das große Zimmer des Ziegelbaus, wo das Feuer im Kamin heruntergebrannt war und wo ein riesiger Wandteppich hing, der die Wand fast zur Hälfte bedeckte.
Nach und nach wurde ihm klar, was er vor sich sah - den Berg, das Tal und die winzigen Gestalten der Zwillinge, die zusammen auf der grünen Lichtung in brennendem Sonnenschein standen. Der sanfte Rhythmus von Maharets Rede drängte sich ihm wieder auf, zusammen mit einem schwachen Abglanz der Bilder, die ihre Worte hervorgerufen hatten. So unmittelbar wirkte diese sonnenüberflutete Lichtung;
und wie ganz anders als in den Träumen sie jetzt aussah! Nie hatten die Träume ein Gefühl der Nähe zu diesen Frauen vermittelt. Und nun kannte er sie, er kannte dieses Haus.
Welch ein Rätsel, diese Vermengung von Gefühlen, wo Kummer auf etwas unbestreitbar Positives und Gutes traf. Maharets Seele zog ihn an, er liebte ihre eigentümliche Kompliziertheit, und er wünschte, ihr das irgendwie sagen zu können. Dann war ihm, als hätte er sich selbst ertappt; er stellte fest, daß er für eine Weile vergessen hatte, verbittert und schmerzerfüllt zu sein. Vielleicht verheilte seine Seele schneller, als er es sich je hatte vorstellen können.
Oder vielleicht lag es nur daran, daß er an andere gedacht hatte - an Maharet und vorher an Louis und daran, was Louis glauben sollte. Ach, verdammt, wahrscheinlich war Lestat unsterblich. Tatsächlich kam ihm der herbe und bittere Gedanke, daß Lestat dies alles überleben könnte und er selbst, Marius, nicht.
Doch diese kleine Spekulation war müßig. Wo war Armand? War Armand schon hinunter unter die Erde gegangen? Wenn er doch nur jetzt Armand treffen könnte…
Er ging wieder zur Kellertür, doch irgend etwas lenkte ihn ab. Durch die offene Tür sah er zwei Gestalten, die den beiden Zwillingen auf dem Wandteppich sehr ähnlich sahen - Maharet und Jesse, die Arm in Arm an einem Ostfenster standen und regungslos zusahen, wie es im dunklen Wald heller wurde.
Heftiges Schaudern schüttelte ihn. Er mußte sich am Türrahmen festklammern, während eine Reihe von Bildern seinen Geist überflutete. Das war jetzt nicht der Dschungel; da gab es in der Ferne einen Highway, der sich, wie es schien, nordwärts durch ödes, verbranntes Land schlängelte. Dann hörte die Vision auf; erschüttert, aber wovon? Von dem Bild zweier rothaariger Frauen? Er hörte wieder unbarmherziges Trampeln von Füßen, er sah .die erdbeschmierten Füße wie seine eigenen, die erdbeschmierten Hände wie seine eigenen. Und dann sah er den Himmel in Flammen stehen und stöhnte laut.
Als er wieder erwachte, hielt Armand ihn in seinen Armen. Und Maharet beschwor ihn mit ihren triefenden Menschenaugen, ihr zu erzählen, was er gerade gesehen hatte. Langsam sah er den Raum wieder klar, die angenehme Einrichtung, die unsterblichen Wesen neben ihm, der zu ihnen gehörte und
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