Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
vollführte und lautlos auf den Bohlen landete. Ich spähte durch das schmutzige Glas der Flügeltüren.
Alles leer; vernarbte Wände, wie Jesse sie zurückgelassen hatte. Vor die Tür war ein Brett genagelt, als hätte einmal jemand einzubrechen versucht und war ertappt worden, und von innen drang noch nach all diesen Jahren der Geruch verbrannten Holzes heraus.
Ich riß leise das Brett ab, und dann versuchte ich mit meiner neuen Kraft das Schloß der Tür dahinter aufzubrechen. Konnte ich es öffnen? Und warum schmerzte es so sehr - an sie zu denken, daran zu denken, daß ich ihr in jenem letzten flackernden Augenblick hätte helfen können; ich hätte Kopf und Körper zusammenkommen lassen können, selbst wenn sie vorhatte, mich zu vernichten, und auch, obwohl sie nicht meinen Namen gerufen hatte.
Ich sah das kleine Schloß an. Drehe dich, öffne dich. Und mit Tränen in den Augen hörte ich das Metall klicken, sah die Klinke sich bewegen. Und dann platzte die Tür aus dem verzogenen Rahmen, Scharniere ächzten, und auf sprang sie, wie aus eigenem inneren Antrieb.
Er war im Flur und blickte durch Claudias Tür.
Sein Jackett war wohl etwas kürzer, etwas knapper als die alten Gehröcke von damals, aber er hatte so große Ähnlichkeit mit seiner Erscheinung in den alten Zeiten, daß der Schmerz in mir unerträglich anschwoll. Einen Augenblick lang konnte ich mich nicht bewegen. Er hätte ebensogut ein Gespenst sein können: Sein schwarzes Haar war voll und zerzaust wie damals, und in seinen grünen Augen lag ein Blick voll ungläubiger Melancholie, und seine Arme baumelten ungelenk an ihm herunter.
Sechzig Jahre in dieser Wohnung, die unheilige Familie. Sechzig Jahre Louis, Claudia, Lestat.
Konnte ich das Cembalo hören, wenn ich es versuchte? - Claudia spielte ihren Haydn, und die Vögel sangen dazu, und die vereinte Musik ließ die Kristallzapfen vibrieren, die an den bemalten Glasschirmen der Öllampen hingen, und sogar die Windspiele am Hintereingang vor der eisernen Wendeltreppe.
Claudia, mit ihrem Gesicht wie geschaffen für ein Medaillon oder eine Miniatur auf Porzellan, die mit einer Locke goldenen Haars in einer Schublade verwahrt wurde.
Claudia, die mir ihr Messer ins Herz gestoßen und es herumgedreht und zugesehen hatte, wie das Blut mein Hemd durchtränkte.
Stirb, Vater. Ich werde dich auf ewig in deinen Sarg sperren. Ich werde dich zuerst töten, mein Prinz.
Ich sah das kleine sterbliche Kind in den besudelten Laken liegen; Krankheitsgeruch. Ich sah die schwarzäugige Königin regungslos auf ihrem Thron. Und ich hatte sie beide geküßt, zwei Schneewittchen im Todesschlaf! Claudia, Claudia, komm jetzt, Claudia… Gut so, mein Liebling, du mußt es trinken, damit es dir wieder gutgeht.
Akascha!
Jemand rüttelte mich. Ich schrak auf. »Ach, Louis, verzeih.« Der dunkle, verwahrloste Flur. Mich schauderte. »Ich bin hier, weil ich mir Sorgen gemacht habe … deinetwegen.«
»Das wäre nicht nötig gewesen«, sagte er aufmerksam. »Ich mußte nur eine kleine Wallfahrt unternehmen.«
Ich berührte sein Gesicht mit meinen Fingern; noch so wann von der Jagdbeute!
»Sie ist nicht hier, Louis«, sagte ich. »Jesse hat sich das nur eingebildet.«
»Ja, es scheint so«, sagte er.
»Wir leben ewig, doch sie kommen nicht zurück.«
Er musterte mich lange, dann nickte er. »Komm mit«, sagte er.
Wir gingen gemeinsam den langen Flur entlang nach draußen; nein, es gefiel mir nicht, ich wollte nicht hier sein. Hier spukte es; aber wirklicher Spuk hatte letzten Endes nichts mit Gespenstern zu tun, sondern mit der Bedrohung durch die Erinnerung; das da war mein Zimmer gewesen, mein Zimmer.
Wie traurig, den überwucherten Hof zu sehen; der Brunnen in Trümmern, die alte geflieste Küche zerfiel, und die Fliesen wurden wieder zu Erde. »Wenn du willst, bringe ich das alles für dich in Ordnung«, sagte ich zu Louis. »Du verstehst, so, wie es einmal war.«
»Das ist unwichtig jetzt«, sagte er. »Kommst du mit, etwas Spazierengehen?«
Gemeinsam gingen wir die überdachte Auffahrt entlang; in dem schmalen Rinnstein strömte Wasser. Ich blickte einmal zurück. Ich sah sie dort in ihrem weißen Kleid mit der blauen Schärpe stehen. Doch sie schaute mich nicht an. Ich war tot, glaubte sie; eingehüllt in das Laken, das Louis in den Wagen gestopft hatte; sie brachte meine Überreste fort, um mich zu begraben; und doch stand sie da, und unsere Blicke trafen sich.
Ich spürte, wie er mich zog.
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