Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
»Es ist nicht gut, hier noch länger zu verweilen«, sagte er.
Ich beobachtete, wie er das Tor gewissenhaft verschloß, wie dann seine Augen noch einmal ganz langsam über die Fenster, die Balkone und die Dachluken ganz oben wanderten. Verabschiedete er sich, für immer? Vielleicht auch nicht.
Wir gingen gemeinsam in die Rue Ste. Anne und fort vom Fluß; wir sprachen nicht, gingen nur den Weg, den wir seinerzeit so oft gegangen waren. Die Kälte biß ihn etwas, biß ihn in die Hände. Er liebte es nicht, die Hände in die Taschen zu stecken, wie es die Männer heutzutage tun. Er hielt das für unziemlich.
Der Schauer war zu einem feinen Sprühregen geworden.
»Und wohin gehen wir jetzt?« fragte ich. Ich knöpfte meine Jeansjacke zu. Nicht, weil mir Kälte noch etwas ausmachte, sondern weil Wärme angenehm war.
»Ein letztes Ziel nur noch, und dann, wohin du willst. Zurück ins Ordenshaus, wahrscheinlich. Wir haben nicht viel Zeit. Aber vielleicht kannst du mich auch einfach meine Irrfahrten alleine beenden lassen, und ich komme in ein paar Nächten nach.«
»Können wir nicht gemeinsam umherirren?«
»Ja«, sagte er begierig.
Was, in Gottes Namen, wollte ich? Wir gingen an den alten Veranden, den stabilen alten grünen Fensterläden vorbei, an Mauern mit abbröckelndem Pütz und an nackten Backsteinen und durch das grelle Licht der Rue Bourbon, und dann sah ich vor uns den Friedhof St. Louis mit seinen dicken, weißgetünchten Mauern. Was wollte ich? Warum tat mir immer noch die Seele weh, während all die anderen irgendwie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatten? Selbst Louis war ausgeglichen, und wir hatten einander, wie Marius gesagt hatte.
Ich war glücklich, bei Louis zu sein, glücklich, durch diese alten Straßen zu gehen; aber warum war das nicht genug?
Ich sah zu, wie Louis das Schloß mit den Fingern aufbrach. Und dann ging er hinein in die kleine Stadt aus weißen Gräbern mit spitzen Dächern und Urnen und marmornen Eingängen, und das hohe Gras knirschte unter unseren Stiefeln. Der Regen verlieh allen Oberflächen Glanz; die Lichter der Stadt ließen die Wolken, die lautlos über unseren Köpfen dahinsegelten, wie Perlen schimmern.
Ich versuchte, die Sterne zu entdecken, vergeblich. Und als ich wieder nach unten sah, erblickte ich Claudia; ich spürte, wie sie meine Hand berührte.
Dann sah ich wieder Louis an, und ich sah, wie seine Augen das schwache und ferne Licht einfingen, und ich fuhr zusammen. Noch einmal betastete ich sein Gesicht, die Wangenknochen, die Bogen unter den schwarzen Augenbrauen. Welch ein edles Geschöpf er war!
»Gesegnete Finsternis!« sagte ich plötzlich. »Die gesegnete Finsternis ist wieder angebrochen.«
»Ja«, sagte er betrübt, »und in ihr regieren wir, wie wir es immer getan haben.«
War das nicht genug?
Er nahm mich bei der Hand und führte mich durch den engen Gang zwischen den ältesten, ehrwürdigsten Gräbern; zwischen Gräbern hindurch, die in die frühesten Zeiten der Kolonie zurückreichten, in denen er und ich durch die Sümpfe gezogen waren, die alles zu verschlingen drohten, und ich mich vom Blut der Wanderarbeiter und Raubmörder ernährt hatte.
Sein Grab. Ich erkannte, daß ich auf seinen Namen starrte, der in großer, schräger, altmodischer Schrift in den Marmor gemeißelt war.
Louis de Pointe du Lac
1766-1794
Er lehnte am Grab hinter ihm, auch so einem kleinen Tempel, wie sein eigenes einer war, mit einem Säulengang.
»Ich wollte es nur Wiedersehen«, sagte er. Er streckte den Arm aus und berührte die Schrift mit dem Finger.
Sie war nur ein wenig durch Witterungseinflüsse verwaschen, und Staub und Schmutz ließen sie sogar deutlicher erscheinen als früher, da die Buchstaben und Ziffern jetzt geschwärzt waren. Dachte er daran, wie die Welt damals ausgesehen hatte?
Ich dachte an Akaschas Träume, ihr Paradies auf Erden, voller Blumen, die aus dem blutgetränkten Boden wuchsen.
»Jetzt können wir heimgehen«, sagte er.
Heim. Ich lächelte. Ich berührte die Gräber rechts und links von mir, dann blickte ich wieder hoch zum matten Widerschein der Großstadtlichter auf den flockigen Wolken. »Du wirst uns doch nicht verlassen?« fragte er plötzlich.
»Nein«, sagte ich. Ich wünschte, ich hätte darüber sprechen können - über all das, was in meinem Buch stand. »Du weißt, daß wir ein Liebespaar waren, Akascha und ich, genausogut wie zwei sterbliche Geliebte es je waren.«
»Natürlich weiß ich
Weitere Kostenlose Bücher