Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
lief, sie konnte ihn nicht spüren. Dann sah sie hoch, und sie wußte, daß sie dem Ding entgegenblickte, von dem das Geräusch ausging. Es war im Dunkel hinter den Bäumen.
Der Tote war vom Motorrad gesprungen, und er schwatzte auf es ein, als könne er es sehen. Aber nein, er blickte um sich wie ein Verrückter, der mit sich selber sprach. Sie verstand kein Wort, sie wußte nur, daß es da war und sie anstarrte und daß der Verrückte bloß seinen Atem verschwendete!
Sie war von der Harley gestiegen, die sogleich umkippte. Das Geräusch hörte auf. Dann verpürte sie ein lautes Klingeln in den Ohren.
»… alles, was du willst!« sagt der Tote neben ihr. »Alles, du musst es nur sagen, und wir werden es machen. Wir sind deine gehorsamen Diener…!« Dann flitzte er an BabyJenks vorbei, rannte sie um ein Haar um und ergriff ihr Motorrad.
»Hey!« rief sie, aber als sie hinter ihm herrennen wollte, ging er schreiend in Flammen auf!
Und dann schrie auch Baby Jenks. Sie schrie und schrie.
Der brennende Tote drehte sich auf dem Boden, wie ein Feuerrad. Und hinter ihr explodierte das Ordenshaus. Trümmer flogen durch die Luft, und der Himmel war taghell erleuchtet.
O , lieber Jesus, laß mich leben, laß mich leben!
Den Bruchteil einer Sekunde lang dachte sie, ihr Herz sei zerplatzt. Sie wollte an sich niederblicken, um nachzusehen, ob ihr Brustkorb geborsten war und das Blut hervorquoll wie flüssige Lava aus einem Vulkan, aber dann schwoll die Hitze in ihrem Kopf an, und plötzlich war sie verschwunden.
Sie schwebte durch einen dunklen Tunnel empor und empor, und dann segelte sie ganz da oben und blickte nieder.
Ach ja, genau wie früher. Und da war es, das Ding, das sie getötet hatte, eine weiße Gestalt zwischen den Bäumen. Und die Kleider des Toten verrauchten auf dem Pflaster. Und ihr eigener Körper verbrannte einfach so.
In den Flammen konnte sie die schwarzen Umrisse ihres Schädels und ihrer Gebeine erkennen. Aber das jagte ihr keine Angst ein, war nicht weiter interessant.
Die weiße Gestalt fesselte sie viel mehr. Sah wie eine Statue aus,» wie die Heilige Jungfrau Maria in der katholischen Kirche. Sie starrte gebannt auf die funkelnden Silberfäden, die die Gestalt in alle Richtungen auszusenden schien, Fäden, die aus einer Art flirrenden Lichts gewoben waren. Und während sie weiter emporschwebte, sah sie, daß die Silberfäden weiter ausuferten, sich mit anderen Fäden verknäulten, um die ganze Welt mit einem riesigen Netz zu umspannen. In dem Netz waren überall Tote, hilflos gefangen, wie in einem Spinnengewebe. Winzige, pulsierende Lichtpünktchen, und alle waren sie mit der weißen Gestalt verbunden, ein schöner Anblick fast, wenn er nicht so traurig gewesen wäre. Ach, arme Seelen aller Toten unserer Zunft, ewig gefangen, ohne jemals alt zu werden oder sterben zu dürfen.
Aber sie war frei. Das Netz war jetzt in weiter Feme. Sie konnte so viele Dinge sehen.
Etwa Tausende und Tausende anderer toter Menschen, die hier oben schwebten, in einem grauen Nebelschleier. Einige schienen umherzuirren, andere rangen miteinander, und einige blickten so trübselig auf den Ort ihres Ablebens nieder, als könnten sie es nicht fassen, daß sie tot waren. Ein paar von ihnen mühten sich gar, von den Lebenden gehört und gesehen zu werden, aber das war denn doch nicht möglich.
Sie wußte, daß sie tot war; sie hatte das alles ja schon mal durchgemacht. Sie durchstreifte nur diese düstere Stätte traurig herumhängender Leute. Sie war unterwegs! Und ihr jämmerliches Erdendasein betrübte sie.
Aber das war jetzt nicht wichtig. Das Licht brach wieder durch, dieses wunderbare Licht, das sie erspäht hatte, als sie damals beinahe gestorben wäre. Sie näherte sich ihm, tauchte in es ein. Und das war wahrhaft schön. Noch nie hatte sie solche Farben gesehen, solch ein Strahlen, noch nie hatte sie so reine Musik wie jetzt gehört. Worte konnten das nicht beschreiben; das war mehr, als Sprache zu leisten vermochte. Und diesmal würde sie niemand zurückholen! Denn das Wesen, das ihr jetzt entgegenkam, um sie aufzunehmen und um ihr zu helfen, dieses Wesen war niemand anderes als ihre Mutter! Und ihre Mutter würde sie nicht mehr gehen lassen.
Noch nie hatte sie solche Liebe verspürt wie jetzt für ihre Mutter; aber dann war sie ganz umfangen von Liebe; das Licht, die Farbe, die Liebe - alles war zu einer Einheit verschmolzen.
Ach, diese arme Baby Jenks, dachte sie, noch ein letztes Mal zur Erde
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