Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
Leichnam einer Frau auf einer Steinplatte. Sie sah aus, als hätte man sie gekocht. Und in den Schalen lagen ein leuchtendes Herz und ein Gehirn.
Baby Jenks war völlig verängstigt aufgewacht. Zum Teufel damit! Ihre Mutter stand in der Tür. Baby Jenks sprang auf und schlug mit dem Bügeleisen auf sie ein, bis sie sich nicht mehr rührte. Immer fest auf ihren Kopf. Eigentlich hätte sie tot sein müssen, aber sie lebte noch ein wenig, und dann kam dieser verrückte Augenblick.
Ihre Mutter lag da auf dem Boden, halb tot, und sie starrte in die Luft, genau wie ihr Vater dann später. Und Baby Jenks saß im Sessel, ein Bein über die Armlehne geworfen, saß da, auf die Ellbogen gestützt oder mit ihrem Haar spielend, und wartete ab, dachte an die Zwillinge aus dem Traum und an den Leichnam und das Zeug auf den Schalen, aber die meiste Zeit wartete sie bloß ab. Stirb, du blöde Kuh, mach schon, noch einmal hau ich nicht zu!
Selbst jetzt wußte Baby Jenks nicht so genau, was geschehen war. Es war, als wären die Gedanken ihrer Mutter anders geworden - größer, umfassender. Vielleicht schwebte sie ja irgendwo unter der Decke, wie damals Baby Jenks, als Killer sie in letzter Sekunde gerettet hatte. Aber aus welchem Grund auch immer, die Gedanken waren erstaunlich. Einfach glattweg erstaunlich. Ihre Mutter schien plötzlich alles zu wissen! Alles über Gut und Böse und wie wichtig es war zu lieben, wirklich zu lieben, und daß es mehr gab, als nicht zu trinken, nicht zu rauchen und zu Jesus zu beten. Ihre Gedanken waren kein Pfaffengeschwätz mehr, sie waren einfach gigantisch.
Ihre Mutter lag da und dachte, daß der Mangel an Liebe in ihrer Tochter so schrecklich wie ein böses Gen war, daß er Baby Jenks zu einer Art blindem Krüppel gemacht hatte. Aber das war nicht weiter schlimm. Es würde alles gut werden. BabyJenks würde emporsteigen aus dem, was gerade geschah, so wie beinahe schon einmal, ehe Killer auf der Bildfläche aufgetaucht war, und ein tieferes Verständnis für alles würde sich ihrer bemächtigen. Was zum Teufel sollte das heißen? Vielleicht,
daß alles um sie herum Teil eines großen Ganzen war, die Fasern im Teppich, die Blätter draußen vorm Fenster, das Wasser, das ins Waschbecken tropfte, die Wolken, die über den Cedar Creek Lake zogen, und die kahlen Bäume, die in Wirklichkeit gar nicht so häßlich waren, wie Baby Jenks immer angenommen hatte. Nein, das war alles viel zu schön, um es plötzlich in Worte zu fassen. Und Baby Jenks’ Mutter hatte darum gewußt! Es so gesehen! Baby Jenks’ Mutter verzieh Baby Jenks alles. Arme Baby Jenks. Sie wußte nicht um das grüne Gras oder die Muscheln, die im Licht der Lampe leuchteten.
Dann starb Baby Jenks’ Mutter. Gottlob! Genug! Aber Baby Jenks mußte weinen. Schließlich trug sie den Körper aus dem Wohnwagen und beerdigte ihn dahinter, ganz tief, wobei sie sehr zufrieden war, zu den Toten zu gehören, einfach weil man dann so kräftig war und ohne Mühe eine Schaufel voll Erde heben konnte.
Dann kam ihr Vater nach Hause. Jetzt ging der Spaß erst richtig los! Sie begrub ihn lebendigen Leibes. Nie würde sie seinen Gesichtsausdruck vergessen, als er in die Tür trat und sie mit der Axt sah. »Nun, wenn das nicht Lizzie Borden ist.« Wer zum Teufel ist Lizzie Borden?
Und wie er dann sein Kinn vorschob und ihr die Faust entegenschleuderte! »Du miese Schlampe!« Sie spaltete ihm die Stirn. War schon toll, wie sein Schädel zerbarst - »Nieder mit dir, du Hund!« -, und sie schaufelte sein Gesicht mit Erde zu, während er sie noch immer ansah. Er war gelähmt, konnte sich nicht bewegen, dachte, er sei wieder ein Kind auf einer Farm in New Mexico oder so was. Reines Babygelaber. Du Dreckskerl, ich bab’ schon immer gewußt, daß dein Hirn nur aus Scheiße besteht. Jetzt kann ich’s riechen.
Aber warum, zum Teufel, war sie überhaupt hierher gefahren? Warum hatte sie die Fangzahnbande verlassen?
Wenn sie bei ihr geblieben wäre, würde sie jetzt mit Killer und Davis in San Francisco sein, um Lestats Konzert entgegenzufiebern. Vielleicht hätten sie dort sogar eine Vampirbar aufgetan. Falls sie jemals angekommen wären. Irgendwas war da oberfaul.
Und warum, zum Teufel, fuhr sie nun denselben Weg wieder zurück? Vielleicht hätte sie lieber gen Westen fahren sollen. Nur noch zwei Tage bis zu dem großen Ereignis.
Vielleicht sollte sie am Abend des Konzerts in ein Motel gehen, damit sie wenigstens die Fernsehübertragung sehen könnte.
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