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Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Titel: Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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war warm. Sie sah Marius, ihren Schöpfer, nicht so wie er jetzt war, sondern als den jungen Unsterblichen von damals, der von einem überirdischen Geheimnis entbrannt war: »Pandora, meine Liebste…« - »Schenk es mir, ich bitte dich.« - »Pandora, komm mit mir, um den Segen Der Mutter und Des Vaters zu erbitten. Komm in den Schrein.«
    Schwerelos und verzweifelt wie sie war, hätte sie beinahe ihr Ziel vergessen. Sie hätte sich der aufgehenden Sonne entgegentreiben lassen können. Aber die alarmierenden Signale kamen erneut, die pulsierende Warnung vor Gefahr, und gemahnten sie an ihre Bestimmung. Sie breitete ihre Arme aus, zwang sich, der Erde wieder entgegenzusehen, und genau unter ihr war der Innenhof des Tempels mit seinen rauchenden Feuern. Ja, ja.
    Sie war überrascht, mit welcher Geschwindigkeit die Landung vonstatten ging. Sie fand sich in dem Hof wieder, ihr Körper schmerzte ganz kurz, erstarrte dann vor Kälte. In der Ferne das Heulen des Windes. Die Tempelmusik drang durch die Mauern, ein schwindelerregendes Pochen, begleitet von Tamburin und Trommel und grausigem Singsang. Und vor ihr türmten sich knackend und speiend die Scheiterhaufen, übersät von verkohlten Leichen. Von dem Gestank wurde ihr übel. Dennoch blieb sie lange Zeit in den Anblick der Flammen versunken, die langsam über das brutzelnde Fleisch, die schwarzen Stümpfe züngelten, das Haar plötzlich in weiße Rauchfetzen aufgehen ließen. Der Geruch erstickte sie; die klare Bergluft war ihr hier verwehrt.
    Sie starrte das ferne Holztor an, das ins Innere der heiligen Stätte rührte. Wieder würde sie ihre Kräfte einer Prüfung unterziehen. Da. Und wie von selbst näherte sie sich der Schwelle, das Tor öffnete sich, und ein verwirrendes Gemisch aus Licht, warmer Luft und ohrenbetäubendem Gesang schlug ihr entgegen.
    »Azim! Azim! Azim!« sangen die Gläubigen immer wieder und strebten der Mitte der kerzenerleuchteten Halle entgegen, wobei sie ihre Hände und Köpfe rhythmisch wiegten. »Azim! Azim! Azim-Azim-Azim! Aaaaa-Ziiiim!« Schwaden quollen aus den Weihrauchfässern; ein endloser Zug barfüßiger Gestalten schritt an ihr vorbei, ohne sie zu sehen. Sie hielten die Augen geschlossen, ihre dunklen Gesichterwaren entspannt, nur ihre Lippen bewegten sich, da sie ständig den geheiligten Namen wiederholten, Männerund Frauen in Lumpen, andere in phantastischen, bunten Seidengewändern und mit goldenem Schmuck behangen, und alle riefen sie in schrecklicher Monotonie Azim an. Sie mischte sich unter sie, konnte das Fieber riechen, den Hunger, die Toten, die in dem allgemeinen Delirium unbemerkt blieben. Schließlich klammerte sie sich an eine Marmorsäule, um Halt zu finden in diesem Mahlstrom aus Bewegung und Lärm.
    Und dann sah sie Azim in der Mitte des Gewühls. Seine bronzefarbene Haut schimmerte feucht im Kerzenlicht, auf dem Kopf trug er einen schwarzen Seidenturban, sein langes, besticktes Gewand war über und über besudelt von sterblichem und unsterblichem Blut. Um seine riesigen schwarzen Augen hatte er dunklen Puder aufgetragen, und zu den harten Trommelschlägen vollführte er einen wogenden Tanz, wobei er seine Fäuste wie gegen eine unsichtbare Wand nach vorne stieß. Mit den Füßen stampfte er entfesselte Rhythmen, und aus seinen Mundwinkeln sickerte Blut. Sein Gesichtsausdruck verriet blinde Hingabe.
    Dennoch wußte er, daß sie angekommen war. Ohne seinen Tanz zu unterbrechen, sah er sie an, und ihr entging nicht, daß sich seine blutverschmierten Lippen zu einem Lächeln kräuselten. Pandora, meine schöne, unsterbliche Pandora …
    Er warf seinen Kopf zurück, drehte sich um sich selbst und schrie laut auf. Seine Gehilfen traten vor und schlitzten seine vorgestreckten Handgelenke mit geweihten Messern auf. Und die getreuen Gläubigen brandeten ihm entgegen, um mit geöffneten Mündern das vorsprudelnde Blut zu erhaschen. Der Gesang schwoll an, wurde eindringlicher, übertönte die würgenden Schreie derjenigen, die am nächsten bei ihm standen. Und plötzlich sah sie, wie er emporgehoben, der Länge nach auf die Schultern seiner Anhänger gelegt wurde. Die Spitzen seiner goldenen Pantoffeln wiesen zu der hohen, mosaikverzierten Decke, die Messer schlitzten seine Fesseln auf und erneut die Handgelenke, deren Wunden sich bereits geschlossen hatten. Die tosende Menge schien sich in dem Maße auszudehnen, wie ihre Bewegungen immer rasender wurden, schweißgebadete Körper prallten auf sie, bemerkten nicht die

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