Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
das kleinere mit der niederen Decke und den Ledersesseln. Würde ihm irgend jemand auf dieser Straße fünfundzwanzig Cent gegen einen Freiflug nach Miami leihen?
Vermutlich nicht.
Armand, jetzt! Ich möchte bei dir sein, wenn Lestat morgen abend seinen Auftritt hat.
Wer würde diesen Scheck einlösen? Niemand. Es war sieben Uhr, und die schicken Läden auf der Michigan Avenue waren größtenteils geschlossen, und er konnte sich nicht ausweisen, da seine Brieftasche vorgestern irgendwie abhanden gekommen war. Trostlos waren dieses graue Winterzwielicht und der wolkenverhangene Himmel. Sogar die Kaufläden mit ihren Marmor- oder Granitfassaden sahen abweisend aus, und der Wohlstand drinnen leuchtete wie archäologische Relikte unter Museumsglas. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und senkte seinen Kopf, als der Wind auffrischte und es zu regnen anfing.
Der Scheck war ihm scheißegal, wirklich. Er konnte sich gar nicht vorstellen, eine Telefonnummer zu wählen. Nichts schien hier der Wirklichkeit anzugehören, nicht einmal die Kälte. Nur der Traum schien wirklich zu sein und die Ahnung einer drohenden Katastrophe, die der Vampir Lestat irgendwie in Gang gebracht hatte und die sich selbst seiner Kontrolle entzog.
Ernähre dich aus Mülltonnen, wenn’s nicht anders geht, schlafe irgendwo, und wenn’s im Park ist. Das alles war nicht weiter wichtig.
Aber er würde erfrieren, wenn er sich wieder im Freien zur Ruhe legte, und außerdem würde der Traum zurückkommen.
Der kam jetzt jedesmal, wenn er die Augen schloß. Und jedesmal war er länger und mit neuen Einzelheiten angereichert. Die rothaarigen Zwillinge waren von so zarter Schönheit. Er wollte sie nicht schreien hören.
In der ersten Nacht in seinem Hotelzimmer hatte er der ganzen Angelegenheit keine Beachtung geschenkt. Er hatte sich einfach wieder Lestats Autobiographie vorgenommen und sich zwischendurch die Rockvideos seiner Band in dem kleinen Schwarzweißfernseher, wie sie in solchen Dreckslöchern zu stehen pflegen, angeschaut.
Lestats Unverfrorenheit hatte ihn fasziniert; dabei war es so einfach, sich als Rockstar rauszuputzen. Feurige Augen, kräftige, doch geschmeidige Gliedmaßen und ein boshaftes Lächeln, ja. Aber genau konnte man es nicht wissen. Oder doch? Er hatte Lestat nie persönlich gesehen.
Aber in Sachen Armand war er Experte, er hatte jedes Detail von Armands jugendlichem Körper und Gesicht studiert. Ach, und was war das für ein wahnsinniges Vergnügen, in Lestats Buch über Armand zu lesen, wobei er sich immerzu fragte, ob Armand angesichts der Beleidigungen und liebevollen Analysen Lestats nicht vor Wut geplatzt war. In stummer Bewunderung hatte sich Daniel auf MTV den kleinen Videoclip angesehen, in dem Armand als Ordensvorsteher der alten Vampire unter dem Pariser Friedhof dargestellt wurde, als Wahrer dämonischer Riten, bis Lestat, der Bilderstürmer des achtzehnten Jahrhunderts, mit den alten Sitten aufräumte. Armand mußte geschäumt haben, seine Geschichte in blitzenden Bildern ausgebreitet zu sehen, die wesentlich krasser waren als Lestats viel bedächtigere schriftliche Version.
Und all das für die Massen - wie ein billiger Taschenbuchreißer eines Insiders, der die Geheimnisse seiner Zunft für einen Platz auf der Bestsellerliste verhökerte.
Sollten die dämonischen Götter einander doch bekriegen. Dieser Sterbliche war auf dem Bergesgipfel gewesen, wo sie die Klingen kreuzten. Und er war zurückgekommen. Er war abgewiesen worden.
Während der folgenden Nacht war der Traum so klar und deutlich wie eine Halluzination gewesen. Er wußte, daß er derlei nicht hätte erfinden können. Niemals hatte er solche Menschen gesehen, solch einfachen Schmuck aus Knochen und Holz.
Drei Nächte danach hatte er den Traum schon wieder gehabt. Er hatte zum ungefähr fünfzehnten Mal ein Rockvideo Lestats angesehen - das über die uralten und bewegungslosen ägyptischen Eltern der Vampire, über JENE, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN:
Akascha und Enkil,
Wir sind euere Kinder,
Aber was gebt ihr uns?
Ist euer Schweigen
Ein bess’res Geschenk als die Wahrheit?
Und dann träumte Daniel. Und die Zwillinge waren dabei, das Festmahl einzunehmen. Sie würden sich die Organe in den irdenen Schalen teilen. Die eine würde das Hirn, die andere das Herz nehmen.
Er wachte angsterfüllt auf. Etwas Schreckliches würde passieren, ihnen allen würde etwas passieren… Und damals brachte er das zum erstenmal mit Lestat in
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