Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
jede Faser, jede Zelle ihres Körpers zu erreichen. Ihr drittes Opfer stürzte sich ihr entgegen, geschmeidige, junge Glieder umschlangen sie, sein Haar war so weich, dieser Flausch auf seinen Armen, die Knochen waren so zerbrechlich und leicht, als sei sie hier ein körperliches Wesen und die anderen nur flüchtige Gebilde.
Sie riß ihm den Kopf zur Hälfte ab und starrte auf die weißen Knochen des gebrochenen Rückgrats, dann trank sie den Tod in sich hinein, der rot aus seiner zerfetzten Halsschlagader spritzte. Aber das Herz, das schlagende Herz, sie wollte es sehen, wollte es schmecken. Sie warf den Körper über ihren rechten Arm, während sie mit der linken Hand sein Brustbein spaltete, seine Rippen aufriß, und dann fuhr sie in die heiß blutende Höhlung, um das Heiz herauszuziehen.
Es war noch nicht tot, nicht ganz. Und es war glitschig wie nasse Weintrauben. Die Gläubigen umdrängten sie, als sie es über ihren Kopf hielt und es sanft ausdrückte, so daß der Lebenssaft über ihre Finger und in ihren geöffneten Mund rann. Ja, das war es, in alle Ewigkeit. »Göttin! Göttin!«
Azim sah ihr lächelnd zu. Aber sie beachtete ihn nicht. Sie starrte auf das verrunzelte Herz, aus dem noch die letzten Blutstropfen sickerten. Zu Matsch zerdrückt. Sie ließ es fallen. Ihre Hände glühten wie lebendige Hände, blutverschmiert. Sie spürte die kribbelnde Wärme in ihrem Gesicht. Eine Flut von Erinnerungen suchte sie heim, unverständliche Visionen durchzuckten sie. Sie drängte die Flut zurück. Diesmal würde sie ihr nicht verfallen.
Sie griff nach ihrem schwarzen Mantel. Sie hüllte sich ein, wobei warme Menschenhände fürsorglich das weiche Tuch über ihr Haar und ihre untere Gesichtspartie breiteten. Und ohne sich um das vielfältige Rufen ihres Namens zu scheren, strebte sie dem Ausgang zu, wobei sie versehentlich den einen oder anderen Anbeter, der ihr in die Quere kam, zertrat.
Im Hof war es wohltuend kalt. Sie beugte ihren Kopf leicht nach hinten und atmete eine Brise ein, die von den Bergen niederfuhr und die Scheiterhaufen neu aufzüngeln ließ. Das helle Mondlicht lag auf den schneebedeckten Gipfeln jenseits der Mauern.
Sie lauschte dem Blut in ihrem Inneren, und nicht ohne freudiges Erstaunen stellte sie fest, daß es sie immer noch zu erfrischen und stärken vermochte. Voller Trauer und Wehmut betrachtete sie die kahle, wilde Landschaft, die den Tempel umgab,
sah sie zu den treibenden, wogenden Wolken empor. Das Blut schenkte ihr Mut, schenkte ihr einen Moment lang den Glauben an die reine Rechtmäßigkeit des Universums - Ausfluß einer grausamen, unverzeihlichen Handlung.
Wenn der Geist keinen Sinn zu finden vermag, dann belehren einen die Sinne eines besseren. Das sei deine Devise, elender Erdenwurm.
Sie ging zum nächstgelegenen Scheiterhaufen und hielt ihre Hände über das Feuer, um sie von Blut und Herzresten zu reinigen. Die züngelnden Flammen waren nichts gegen die Hitze des Blutes in ihrem Inneren. Als sich schließlich die ersten winzigen Anzeichen körperlicher Schmerzen und Veränderungen bemerkbar machten, trat sie einen Schritt zurück und besah ihre blütenweiße Haut.
Aber sie mußte sich jetzt aufmachen. Ihre Gedanken waren von Wut und Groll beherrscht. Marius brauchte sie. Gefahr. Die alarmierenden Signale kamen wieder, stärker denn je, da das Blut ihre Aufnahmefähigkeit vervielfacht hatte. Und die Signale kamen offenbar nicht von einer einzelnen Person. Sie waren eher vielstimmig, der ferne Trompetenschall eines gemeinschaftlichen Wissens. Sie hatte Angst.
Sie hob ihre Hände, und der Abstieg begann. Geräuschlos und sterblichen Augen so unsichtbar wie der Wind glitt sie durch die Luft. Hoch über dem Tempel tauchte ihr Körper in dünnen, wabernden Nebel ein. Die Intensität des Lichts verblüffte sie. Überall leuchtendes, schieres Weiß. Und unter ihr die zinnenartige Landschaft steinerner Gipfel und eines gleißenden Gletschers, der sich in dem sanften Dunkel der Wälder und Täler verlor. Da und dort waren lichterfunkelnde Dörfer und Städtchen in die Gegend gesprenkelt. Sie hätte für immer und ewig da hinunterblicken können. Doch innerhalb weniger Sekunden hatte sich eine Wolkenbank über das Panorama geschoben. Und sie war allein mit dem nächtlichen Firmament.
Die Sterne umfingen sie kalt und glitzernd, als gehöre sie zu ihnen. Aber die Sterne forderten nichts und niemanden. Schrecken durchzog sie, der sich zu Trauer vertiefte, der Freude schließlich
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