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Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Titel: Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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bleiben.
    Einen Tag und eine Nacht konnte es dauern, bis das Mahl verzehrt war, aber alle würden bis zum Schluß zusehen.
    Nun bemächtigte sich der Menge in der Lichtung eine erregte Unruhe. Die eine der Zwillinge hob die Schale, in der das Gehirn und die Augen lagen, und die andere nickte und ergriff die Schale mit dem Herz.
    Die Aufteilung war vollzogen. Der Schlag der Trommel wurde lauter, obwohl Daniel den Trommler nicht sehen konnte. Langsam, rhythmisch, brutal.
    »Laßt das Festmahl beginnen.«
    Aber dann ertönte ein gräßlicher Schrei, und Daniel hatte schon vorher gewußt, daß es so kommen würde. Halte die Soldaten auf. Aber er konnte es nicht. All das hatte irgendwo stattgefunden. Nein, das war kein Traum, das war eine Vision. Und so stürmten die Soldaten die Lichtung, die Dorfbewohner rannten auseinander, die Zwillinge setzten die Schalen ab und warfen sich über das dampfende Festmahl. Aber das war Wahnsinn.
    Die Soldaten rissen sie mühelos fort, und als sie den Steintisch hochhoben, fiel der Körper herab und zerbrach in tausend Stücke, und das Herz und das Gehirn schlugen in den Staub. Die Zwillinge aber schrien in einem fort. Auch die fliehenden Dorfbewohner schrien, als die Soldaten sie niedermetzelten. Überall auf den Bergpfaden lagen Tote und Sterbende verstreut. Die Augen der Mutter waren ebenfalls aus der Schale gefallen und wurden wie ihr Herz und ihr Gehirn im Staub zertrampelt.
    Eine der Zwillinge, die Arme auf den Rücken gedreht, rief die Geister um Rache an. Und sie kamen, tatsächlich. Ein leibhaftiger Wirbelwind. Aber es genügte nicht.
    Wenn es nur schon vorbei gewesen wäre. Aber Daniel konnte nicht aufwachen.
    Totenstille. Die Luft war voller Rauch. Nichts stand mehr, wo diese Leute jahrhundertelang gelebt hatten. Die Lehmziegel waren zertrümmert, die Tontöpfe zerbrochen, alles, was brennen konnte, war verbrannt. Kinder mit aufgeschlitztem Hals lagen nackt auf dem Boden, und die Fliegen machten sich über sie her. Niemand würde diese Körper braten, niemand würde dieses Fleisch verzehren. Es würde einfach nur verwesen. Schon näherten sich die Schakale. Und die Soldaten waren fort.
    Wo waren die Zwillinge? Er hörte sie weinen, aber er konnte sie nicht finden. Ein gewaltiger Sturm brauste über den schmalen Weg, der sich durch das Tal der Wüste entgegenschlängelte. Die Geister machten den Donner. Die Geister machten den Regen.
    Seine Augen öffneten sich. Chicago, Michigan Avenue, Mittag. Der Traum hatte aufgehört, wie eine Lampe, die ausgeschaltet wurde. Er saß da, schnatternd und schwitzend zugleich.
    In der Nähe ertönte ein Radio, Lestat sang mit seiner beklemmenden, klagenden Stimme von JENEN, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN.
     
    Mutter und Vater.
    Wahrt euer Schweifen,
    Wahrt euere Geheimnisse,
    Aber ihr, die ihr klingende Kehlen habt,
     
    Singet mein Lied.
    Söhne und Töchter,
    Kinder der Finsternis,
    Erhebt euere Stimmen,
    Laßt den Chor erschallen
    Bis hinauf Zum Firmament.
     
    Kommet zuhauf,
    Brüder und Schwestern,
    Kommet zu mir.
     
    Er war aufgestanden, hatte sich auf den Weg gemacht. Geh zum Water Tower Place, der Night Island so ähnlich ist mit seinen überquellenden Läden, seiner ständigen Musik- und Lichtberieselung.
    Und jetzt war es schon rast acht Uhr, und er war die ganze Zeit umhergewandert, um dem Schlaf und dem Traum zu entfliehen. Er war weit fort von jeglicher Musik, jeglichem Licht. Wie lange würde es das nächste Mal dauern? Würde er herausfinden, ob sie tot waren oder noch lebten? Meine Schönen, meine armen Schönen …
    Er blieb stehen, wandte seinen Rücken kurz dem Wind zu, hörte irgendwo die Zeit schlagen, dann machte er eine verschmutzte Uhr über dem Tresen einer Imbißstube aus. Ja, Lestat hatte sich an der Westküste von seinem Lager erhoben. Wer war bei ihm? War Louis da? Und das Konzert, nur noch etwas über 24 Stunden bis zum Konzert. Unheil droht! Armand, bitte.
    Der Wind blies, trieb ihn ein paar Schritte zurück, ließ ihn vor Kälte erzittern. Seine Hände waren eisig. Hatte er jemals in seinem Leben derart gefroren? Verbissen überquerte er die Michigan Avenue und kam vor einer Buchhandlung zu stehen, in deren Schaufenster er das Werk Der Fürst der Finsternis ausgestellt sah. Sicher hatte Armand es gelesen, jedes Wort auf jene unheimliche, schreckliche Art verschlingend, die ihm beim Lesen eigentümlich war - ohne Unterbrechung blätterte er Seite für Seite um, in irrwitzigem Tempo rasten die Augen über die Worte,

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