Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
sie, küßte sie und küßte ihre Vampirhaut. »Danach gibt es keine Fragen mehr.«
Ihre Hand berührte meine Stirn.
Der Krankenwagen raste los, als werde er von seiner Sirene gejagt, als sei die Sirene die Kraft, die ihn vorantriebe. Ihre Hand berührte meine Lider. Ich werde dich nicht ansehen!
Oh, bitte, hilf mir… das trostlose Gebet des Teufels an seine Heerscharen, derweil er tiefer und tiefer stürzt, der Hölle zu.
Dreizehn
J a, ich weiß, wo wir sind. Von Anrang an hast du versucht, mich hierher zurückzubringen, in das kleine Krankenhaus.«
Wie verloren es jetzt aussah, so primitiv mit seinen Lehmwänden, den Holzläden vor den Fenstern und den kleinen Betten, aus kaum behandeltem Holz zusammengezimmert. Doch sie war es, dort in dem Bett, oder? Ich kenne die Schwester, ja, und den alten Arzt mit dem runden Rücken, und ich sehe dich dort im Bett - das bist du, die Kleine da mit den Locken, auf der Bettdecke, und Louis dort…
Also gut, warum bin ich hier? Ich weiß, es ist ein Traum. Es ist nicht der Tod. Der Tod nimmt keine besondere Rücksicht auf die Leute.
»Bist du sicher?« sagte sie. Sie saß auf dem geradlehnigen Stuhl, die goldenen Haare mit einem blauen Band nach oben gebunden, und ihre kleinen Füße steckten in blauen Satinpantoffeln. Das hieß also, sie war dort im Bett und dort auf dem Stuhl, meine kleine französische Puppe, meine Schönheit mit dem hochnäsigen Gesichtchen und den makellos geformten kleinen Händen.
»Und du, du bist hier bei uns, und du bist in einem Notaufnahmebett in Washington, D. C. Du weißt, daß du da unten im Sterben liegst, nicht wahr?«
» Schwere Hypothermie, höchstwahrscheinlich Pneumonie. Aber woher sollen wir wissen, was für Infektionen vorliegen? Bombardieren Sie ihn mit Antibiotika.
Unmöglich, den Mann an den Sauerstoff zu hängen. Und wenn wir ihn zur Universität schicken, landet er da auch auf dem Korridor.«
»Laßt mich nicht sterben. Bitte… ich habe Angst.«
»Wir sind ja hier bei Ihnen. Wir kümmern uns um Sie. Können Sie mir sagen, wie Sie heißen? Haben Sie eine Familie, die wir informieren können?«
»Na los, sag ihnen, wer du wirklich bist«, sagte sie mit einem kleinen, silberhellen Lachen; ihre Stimme war immer so zart, so hübsch. Ich kann ihre zarten kleinen Lippen fühlen, wenn ich sie nur anschaue. Ich habe immer spielerisch den Finger an ihre Unterlippe gedrückt, wenn ich ihre Lider und ihre glatte Stirn küßte. »Hör auf, die kleine Klugscheißerin zu spielen«, brachte ich zwischen den Zähnen hervor. »Außerdem, wer bin ich denn da unten?«
»Kein Mensch, wenn du das meinst. Nichts könnte dich zum Menschen machen.«
»Also gut, ich gebe dir fünf Minuten. Wieso hast du mich hergebracht? Was willst du von mir hören - daß es mir leid tut, was ich getan habe: daß ich dich aus dem Bett geholt und einen Vampir aus dir gemacht habe? Nun, willst du die Wahrheit wissen, die abgrundtiefe, allerletzte Wahrheit? Ich weiß nicht, ob es mir leid tut. Es tut mir leid, daß du gelitten hast, es tut mir immer leid, wenn jemand leidet. Aber ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, daß ich diesen kleinen Trick bedaure.«
»Hast du kein bißchen Angst, so für dich einzustehen?«
»Wenn die Wahrheit mich nicht retten kann, rettet mich gar nichts.« Wie ich den Geruch der Krankheit ringsumher haßte, all dieser kleinen Leiber, fiebrig und feucht unter ihren grauen Decken, den Geruch dieses ganzen schmuddeligen und hoffnungslosen kleinen Spitals, das ich vor vielen Jahrzehnten gesehen hatte. »Vater unser in der Hölle, Lestat sei dein Name.«
»Und du? Nachdem die Sonne dich verbrannt hatte im Luftschacht im Theater der Vampire, bist du da zur Hölle gefahren?«
Ein Lachen, ein so hohes, reines Lachen - wie glitzernde Münzen, die aus einer Börse geschüttet werden.
»Das werde ich dir nie erzählen!«
»Aber ich weiß doch, daß dies ein Traum ist. Mehr war es von Anfang an nicht. Weshalb sollte jemand, der von den Toten zurückkehrt, solche trivialen und schwachsinnigen Dinge sagen?«
»Das kommt immer wieder vor, Lestat. Reg dich nicht so auf. Ich möchte, daß du jetzt aufpaßt. Schau dir all diese kleinen Betten an, schau dir die Kinder an, die hier leiden.«
»Ich habe dich herausgeholt«, sagte ich.
»Ja. Wie Magnus dich aus deinem Leben herausgeholt und dir dafür etwas Monströses, Böses gegeben hat. Du hast mich zur Mörderin an meinen Brüdern und Schwestern werden lassen. Alle meine Sünden haben ihren
Weitere Kostenlose Bücher