Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
stinkenden, schmerzenden Körper verdammt - das hast du getan! Glaubst du, ich weiß nicht, wie tief dein Haß ist? Denkst du, ich erkenne das Gesicht der Vergeltung nicht, wenn ich es sehe? Um der Liebe Gottes willen, sag doch die Wahrheit!«
»Das ist nicht die Wahrheit. Ich liebe dich. Aber du bist jetzt blind vor Ungeduld und überlastet von deinen simplen Schmerzen und Beschwerden. Du selbst bist derjenige, der mir nie verzeihen wird, wenn ich dich deines Schicksals beraube. Nur wirst du noch einige Zeit brauchen, um die wahre Bedeutung dessen, was du getan hast, zu erkennen.«
»Nein, nein, bitte.« Ich kam auf ihn zu, aber diesmal nicht im Zorn. Ich näherte mich ihm langsam, bis ich ihm die Hände auf die Schultern legen konnte und den leisen Duft von Staub und Grab roch, der in seinen Kleidern hing. Guter Gott, woraus bestand unsere Haut, daß sie das Licht so wunderbar auf sich zog? Und unsere Augen? Ah, in seine Augen zu schauen …
»Louis«, sagte ich, »ich möchte, daß du mich nimmst. Bitte tu, worum ich dich bitte. Überlaß die Deutung meiner Erzählungen nur mir. Nimm mich, Louis, schau mich an.« Ich packte seine kalte, leblose Hand und legte sie an mein Gesicht. »Fühle das Blut in mir, fühle die Hitze. Du willst mich, Louis, das weißt du genau. Du willst mich in deine Macht bringen, wie ich dich vor langer, langer Zeit in meine Macht brachte. Ich werde dein Sprößling sein, dein Kind, Louis. Bitte, tu es. Laß mich nicht erst vor dir auf die Knie fallen.«
Ich spürte die Veränderung in ihm, den Raubtierblick, der seine Augen glasig werden ließ. Aber sein Wille war stärker als sein Durst.
»Nein, Lestat«, wisperte er. »Ich kann es nicht. Selbst wenn ich unrecht habe und du recht und wenn alle deine Metaphern ohne Bedeutung sind, kann ich es nicht.«
Ich nahm ihn in die Arme - oh, so kalt, so unnachgiebig, dieses Monstrum, das ich aus Menschenfleisch erschaffen hatte. Ich preßte meine Lippen an seine Wange, und mich schauderte, als ich meine Finger in seinen Nacken schob.
Er wich nicht vor mir zurück. Das brachte er nicht über sich. Ich fühlte, wie seine Brust sich hob, langsam und lautlos.
»Tu es mit mir, ich bitte dich, du Schöner«, raunte ich ihm ins Ohr. »Laß diese Hitze in deine Adern fließen, und gib mir all die Macht zurück, die ich dir einst gegeben habe.« Ich preßte meine Lippen an seinen kalten, farblosen Mund. »Gib mir Zukunft, Louis. Gib mir Ewigkeit. Nimm mich herab von diesem Kreuz.«
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er die Hand hob. Ich fühlte die seidigen Finger an meiner Wange. Ich fühlte, wie er mich streichelte. »Ich kann es nicht, Lestat.«
»Doch, du kannst es; das weißt du auch.« Ich küßte sein Ohr und kämpfte die Tränen nieder, und mein linker Arm schlang sich um seine Taille. »Oh, laß mich in diesem Elend nicht allein.«
»Hör auf, mich zu bitten«, sagte er betrübt. »Es nützt nichts. Ich gehe jetzt. Du wirst mich nicht wiedersehen.«
»Louis!« Ich hielt ihn fest. »Du darfst mich nicht abweisen!«
»Doch, ich kann es und habe es getan.«
Ich spürte, wie er sich straffte und versuchte, sich zurückzuziehen, ohne mich zu verletzen. Aber ich hielt ihn um so fester im Arm und ließ mich nicht wegstoßen.
»Du wirst mich hier nicht wiederfinden. Aber wo du sie findest, weißt du. Sie wartet auf dich. Siehst du nicht, daß du gesiegt hast? Noch einmal sterblich, und dabei so jung. Noch einmal sterblich, und so wunderschön. Noch einmal sterblich, mit all deinem Wissen und mit demselben unbezähmbaren Willen.«
Mühelos und mit festem Griff löste er meine Arme von sich und schob mich zurück; seine Hände schlössen sich um meine, und er hielt mich von sich ab.
»Leb wohl, Lestat«, sagte er. »Vielleicht werden die anderen zu dir kommen. Eines Tages, wenn sie finden, daß du genug bezahlt hast.«
Ich stieß einen letzten Schrei aus, versuchte meine Hände freizubekommen, wollte ihn festhalten, denn ich wußte genau, was er vorhatte.
In einer jähen, dunklen Bewegung war er verschwunden, und ich lag auf dem Boden. Die Kerze auf dem Schreibtisch war umgefallen und ausgegangen. Nur das ersterbende Kaminfeuer erleuchtete das kleine Zimmer noch. Die Läden vor der Tür standen offen, und es regnete, dünn und leise, aber gleichmäßig. Und ich wußte, daß ich mutterseelenallein war.
Ich war auf die Seite gefallen und hatte die Hände ausgestreckt, um den Sturz zu mildem. Ich stand auf und rief ihn; ich betete, daß er
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