Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
und ließ die alten Vorhangfetzen, die hier und da noch vergessen und vernachlässigt an alten Stangen hingen, in Flammen aufgehen. Ich trat Löcher in den verrotteten Putz der Wände und warf brennende Kerzen in das alte Lattenwerk dahinter, ich bückte mich und zündete die alten, verschlissenen Teppiche an und schob sie faltig zusammen, damit die Luft von unten herankonnte.
Minuten später brannten überall helle Feuer, aber der rote Sessel und der Schreibtisch waren die größten von allen. Ich rannte in den Regen hinaus und sah, daß das Feuer schon durch die dunklen, zerbrochenen Schindeln flackerte.
Feuchter, häßlicher Qualm stieg auf, als die Flammen an den nassen Läden leckten und zu den Fenstern in die nassen Massen der Schlingpflanzen hinauszüngelten. Oh, der verfluchte Regen! Aber Schreibtisch und Sessel loderten heller und immer heller, und dann explodierte das ganze kleine Gebäude in gelben Flammen! Fensterläden wurden in die Dunkelheit geschleudert, und ein großes Loch öffnete sich im Dach.
»Ja, ja, brenne nur!« schrie ich, und der Regen prasselte mir ins Gesicht und auf die Lider. Ich sprang vor Freude auf und ab. Mojo wich mit gesenktem Kopf zur dunklen Villa zurück. »Brenne, brenne!« sang ich. »Louis, ich wünschte, ich könnte dich auch verbrennen! Ich würde es tun! Oh, wenn ich nur wüßte, wo du tagsüber ruhst!«
Aber in meiner Schadenfreude merkte ich, daß ich weinte. Ich wischte mir mit dem Handrücken über den Mund und weinte. »Wie konntest du mich einfach so verlassen? Wie konntest du? Ich verfluche dich!« Und in Tränen aufgelöst, fiel ich auf dem regennassen Boden auf die Knie.
Ich sank langsam auf die Fersen zurück, die Hände vor der Brust gefaltet, und zerschmettert und elend starrte ich in die Feuersbrunst. In abseits stehenden Häusern flammten Lichter auf. Ich hörte den feinen Schrei einer nahenden Sirene. Ich wußte, ich sollte jetzt besser verschwinden.
Dennoch blieb ich dort auf den Knien, fast wie betäubt, bis Mojo mich plötzlich mit tiefem, höchst bedrohlichem Knurren aufschreckte. Ich sah, daß er herbeigekommen war; er drückte sein nasses Fell an mein Gesicht und spähte zu dem brennenden Haus hinüber.
Ich packte sein Halsband und wollte eben verschwinden, als ich sah, was der Grund für seine Unruhe war. Es war kein hilfsbereiter Sterblicher, sondern eine unirdische, verschwommene bleiche Gestalt, eine reglose Erscheinung vor dem brennenden Gebäude, von den Flammen schaurig erleuchtet.
Und selbst mit meinen schwachen, sterblichen Augen sah ich: Es war Marius! Und ich sah den Zorn in seinem Antlitz. Nie hatte ich einen so vollkommenen Ausdruck von Wut gesehen, und es gab nicht den leisesten Zweifel, daß ich ihn auch sehen sollte.
Mein Mund öffnete sich, aber meine Stimme erstarb mir im Halse. Ich konnte ihm nur die Arme entgegenstrecken und aus tiefstem Herzen eine lautlose Bitte um Gnade und Hilfe zu ihm senden.
Wieder knurrte der Hund wild und warnend und duckte sich zum Sprung.
Und hilflos und unkontrolliert zitternd, mußte ich mit ansehen, wie die Gestalt sich langsam abwandte und mir noch einen letzten zornigen und verachtungsvollen Blick zuwarf, ehe sie verschwand.
Erst jetzt erwachte ich wieder zum Leben, und ich rief seinen Namen. »Marius!« Ich richtete mich auf und rief lauter und immer lauter. »Marius, laß mich nicht hier! Hilf mir!« Ich streckte die Hände zum Himmel. »Marius!« schrie ich.
Aber es war nutzlos, und ich wußte es.
Der Regen drang durch meinen Mantel. Er durchnäßte meine Schuhe. Mein Haar glänzte naß, und es kam jetzt nicht mehr darauf an, ob ich geweint hatte oder nicht, denn der Regen hatte meine Tränen abgewaschen.
»Du glaubst, ich bin besiegt«, wisperte ich; es war ganz unnötig, seinetwegen zu schreien. »Du glaubst, du hast dein Urteil gefällt, und damit ist die Sache erledigt. Oh, du glaubst, es ist so einfach. Aber du irrst dich. Ich werde niemals Genugtuung für diesen Augenblick bekommen. Aber du wirst mich wiedersehen. Du wirst mich wiedersehen.«
Ich senkte den Kopf.
Die Nacht war erfüllt von Menschenstimmen und Fußgetrappel. Eine mächtige, lärmende Maschine war dort hinten an der Ecke zum Stehen gekommen. Ich mußte meine elenden sterblichen Gliedmaßen zur Eile antreiben.
Ich winkte Mojo, mir zu folgen, und wir schlichen uns an der immer noch fröhlich brennenden Ruine des kleinen Hauses vorbei, über eine niedrige Gartenmauer und durch eine zugewachsene Gasse
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