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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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war? Ich hörte kein Wort von dem, was er sagte. Überhaupt schien ich mich in einer völlig anderen Sphäre als diese beiden massiven Gestalten dort zu befinden, auch wenn ich mich selbst durchaus vollständig und ganz und real fühlte.
    Oh, wie hübsch das war! Es war so nah an meiner Freiheit als Vampir, daß ich beinahe wieder zu weinen angefangen hätte. Ich hatte solches Mitleid mit den beiden massiven, einsamen Wesen da unten, und ich wollte durch die Decke in die Nacht hinaufsteigen.
    Langsam schwebte ich hoch, über das Dach des Hotels hinaus, bis ich über dem weißen Sand verharrte.
    Aber das genügte, nicht wahr? Angst packte mich, die Angst, die ich schon früher erlebt hatte, wenn ich diesen kleinen Trick ausgerührt hatte. Was in Gottes Namen hielt mich denn in diesem Zustand lebendig? Ich brauchte meinen Körper! Und sofort stürzte ich blindlings zurück ins Fleisch. Ich wachte auf, und es kribbelte überall; ich starrte David an, und er starrte mich an.
    »Ich hab’s geschafft«, sagte ich. Es war ein Schock, zu spüren, wie diese Röhren aus Haut und Knochen mich wieder umschlossen, zu sehen, wie meine Finger sich bewegten, wenn ich es ihnen befahl, zu fühlen, wie meine Zehen in den Schuhen zum Leben erwachten. O Gott, was für ein Erlebnis! Und so viele, viele Sterbliche hatten versucht, es zu beschreiben. Und noch mehr gab es, die in ihrer Ignoranz nicht glaubten, daß so etwas wirklich sein konnte.
    »Vergessen Sie nicht, Ihre Gedanken zu verschleiern«, warnte David plötzlich. »So groß Ihre Begeisterung auch sein mag. Verschließen Sie Ihren Geist fest!«
    »Jawohl, Sir.«
    »Und jetzt machen wir es noch einmal.«
    Gegen Mitternacht - etwa zwei Stunden später - hatte ich gelernt, meinen Körper nach Belieben zu verlassen. Ja, ich wurde beinahe süchtig danach - nach diesem Gefühl der Leichtigkeit, des machtvoll rauschenden Aufstiegs! Die entzückende Mühelosigkeit, mit der ich durch Wände und Decken drang, und dann die jähe, schockierende Rückkehr. Es lag eine tiefe, pochende Lust darin, rein und strahlend, eine Erotik des Geistes.
    »Wieso kann man auf diese Weise nicht sterben, David? Ich meine, wieso kann man nicht einfach in den Himmel hinaufsteigen und die Erde verlassen?«
    »Haben Sie eine offene Tür gesehen, Lestat?« fragte er.
    »Nein«, sagte ich traurig. »Ich habe diese Welt gesehen. Sie war so klar, so schön. Aber es war diese Welt.«
    »Jetzt kommen Sie; Sie müssen lernen, ihn anzugreifen.«
    »Aber ich dachte, das übernehmen Sie, David? Sie schütteln ihn los, stoßen ihn aus seinem Körper und…«
    »Ja, und wenn er mich sieht, bevor ich es tun kann, und mich in eine hübsche kleine Fackel verwandelt? Was dann? Nein, Sie müssen es ebenfalls lernen.« Das war sehr viel schwieriger. Es erforderte das genaue Gegenteil der Passivität und Entspannung, die wir bis dahin verwandt und entwickelt hatten. Ich mußte jetzt meine ganze Energie auf David richten, und zwar mit dem entschlossenen Vorsatz, ihn aus seinem Körper zu stoßen - wobei ich nicht darauf hoffen konnte, daß ich dieses Phänomen in irgendeinem realen Sinn würde sehen können -und dann selbst in seinen Körper hineinzufahren. Die Konzentration, die da von mir verlangt wurde, war eine Qual. Das Timing mußte auf den Punkt genau sein. Und die wiederholten Versuche produzierten eine intensive und ermüdende Nervosität wie bei einem Rechtshänder, der versucht, mit der Linken makellos zu schreiben.
    Mehr als einmal war ich den Tränen der Wut und der Frustration nahe. Aber David blieb absolut unerbittlich: Wir müßten weitermachen, und es sei möglich. Nein, ein ordentlicher Scotch würde nicht helfen. Nein, essen könnten wir erst später. Nein, wir könnten keine Pause machen und am Strand spazieren oder schwimmen gehen.
    Als es mir das erstemal gelang, war ich sprachlos. Ich schoß auf David zu und spürte den Aufprall auf die gleiche rein geistige Weise, wie ich auch die Freiheit des Fliegens gespürt hatte. Dann war ich in David, und für den Bruchteil einer Sekunde sah ich mich selbst - mit offenem Mund und dumpf starrendem Blick - durch die trüben Linsen von Davids Augen hindurch.
    Dann fühlte ich den dunklen Schauder der Desorientierung und einen unsichtbaren Schlag, als habe mir jemand eine große Hand auf die Brust gelegt. Ich begriff, daß er zurückgekommen war und mich hinausstieß. Ich schwebte einen Augenblick in der Luft und sauste in meinen eigenen schweißnassen Körper zurück, und

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