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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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und ich wollte mir diese letzte Nacht als menschliches Wesen unter den Sternen nicht nehmen lassen.
    Ich ging bis an den Rand des Wassers, streifte die Baumwollsachen ab und watete in die Wellen hinaus. Das Wasser war kühl, aber einladend; ich streckte die Arme aus und fing an zu schwimmen. Das war natürlich nicht leicht. Aber schwer war es auch nicht, als ich mich einmal mit der Tatsache abgefunden hatte, daß Menschen es so machten - Zug um Zug gegen die Kraft des Wassers, und es dem Wasser überlassen, den schwerfälligen Körper zu tragen, was es durchaus bereitwillig tut. Ich schwamm ziemlich weit hinaus, drehte mich dann auf den Rücken und schaute zum Himmel hinauf. Er war immer noch von flauschigen weißen Wolken überzogen. Ein Augenblick des Friedens überkam mich - trotz der Kühle an meiner nackten Haut, der Dunkelheit ringsumher und dem merkwürdigen Gefühl von Verwundbarkeit, als ich so auf dem schwarzen, tückischen Meer dahinschwamm. Bei dem Gedanken, wieder in meinem alten Körper zu sein, empfand ich nur Glück, und wieder begriff ich, daß ich in meinem Abenteuer als Mensch gescheitert war. Ich war nicht der Held aus meinen eigenen Träumen gewesen. Das menschliche Leben war mir zu schwer gefallen.
    Schließlich schwamm ich zurück ins seichte Wasser und ging hinauf auf den Strand. Ich hob meine Kleider auf, schüttelte den Sand aus, warf sie über die Schulter und ging zurück zu unserem kleinen Zimmer.
    Nur eine Lampe brannte auf der Kommode. David saß auf seinem Bett an der Tür; er trug nur eine lange weiße Pyjamajacke und rauchte eine dieser kleinen Zigarren. Ich roch ihren Duft gern; er war dunkel und süß.
    Er sah würdevoll aus wie immer; er hatte die Arme verschränkt, und in seinem Blick lag normale Neugier, als er jetzt zusah, wie ich mich nach dem Schwimmen abfrottierte und Haut und Haar trocknete.
    »Habe eben London angerufen«, sagte er.
    »Was gibt’s Neues?« Ich wischte mir mit dem Handtuch durchs Gesicht und warf es dann über die Stuhllehne. Die Luft fühlte sich gut an auf meiner nackten Haut, als sie trocken war.
    »Ein Raub in den Bergen oberhalb von Caracas. Ganz ähnlich den Verbrechen, die in Curacao begangen wurden. Eine große Villa voller Kunstgegenstände, Schmuck, Gemälde. Viel wurde zertrümmert; nur kleine, tragbare Objekte wurden gestohlen. Drei Tote. Wir sollten den Göttern für die Armut der menschlichen Fantasie danken - und für das miese Niveau der Ambitionen dieses Kerls - sowie dafür, daß wir so schnell Gelegenheit haben werden, ihn zu stellen. Denn mit der Zeit wäre er sich seines monströsen Potentials bewußt geworden. So aber ist er für uns ein berechenbarer Trottel.«
    »Nutzt denn jedes Wesen alles, was ihm zur Verfügung steht?« fragte ich. »Vielleicht kennen ein paar tapfere Genies ihre Grenzen. Aber was tun wir anderen außer, daß wir jammern?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er, und ein kleines, trauriges Lächeln ging über sein Gesicht. Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab. »Eines Nachts, wenn dies alles vorüber ist, müssen Sie mir noch einmal erzählen, wie es für Sie war. Wie es sein konnte, daß Sie in diesem schönen jungen Körper waren und die Welt so sehr haßten.«
    »Ich werde es Ihnen erzählen, aber Sie werden es nie verstehen. Sie stehen auf der falschen Seite des dunklen Spiegels. Nur die Toten wissen, wie schrecklich es ist, zu leben.«
    Ich nahm ein weiteres Baumwoll-T-Shirt aus meinem Koffer, aber ich zog es nicht an. Ich setzte mich neben ihn auf das Bett, und dann beugte ich mich hinunter und küßte ihn sanft ins Gesicht, wie ich es in New Orleans getan hatte; ich genoß es, seinen rauhen Bart zu spüren, gerade wie ich so etwas schon gemocht hatte, als ich noch wirklich Lestat gewesen war und dieses starke, maskuline Blut bald in mir gehabt hätte.
    Ich näherte mich ihm weiter, aber plötzlich faßte er meine Hand, und ich spürte, wie er mich sanft von sich schob.
    »Warum, David?« fragte ich.
    Er antwortete nicht, aber er hob die Hand und strich mir das Haar aus den Augen. »Ich weiß nicht«, flüsterte er schließlich. »Ich kann nicht. Ich kann einfach nicht.« Er stand anmutig auf und trat hinaus in die Nacht.
    Die vereitelte Leidenschaft machte mich für einen Augenblick so rasend, daß ich einen Moment lang gar nichts tun konnte. Dann folgte ich ihm nach draußen. Er war ein Stück weit zum Strand hinuntergegangen und stand allein dort, wie ich vorher dagestanden hatte.
    Ich trat hinter

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