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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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gesehen hat.« Wie tief betrübt er wirkte. Niemals in all seinen geduldigen Gesprächen mit mir hatte er fürsorglicher geklungen. Ja, er sah aus, als fühle er den Schmerz, den ich empfand - schneidend und vollständig. »Sie war nicht die geeignete Gefährtin für dich; siehst du das nicht?« fragte er gütig.
    »Doch, das sehe ich. Ich sehe es.« Ich ließ die Stirn auf meine Hand sinken, und ich wünschte, wir wären in der Stille meiner Suite, aber ich drängte nicht darauf. Er war wieder mein Freund, wie es eigentlich kein Wesen auf Erden je gewesen war, und ich würde tun, was er wollte. »Du weißt, du bist der einzige«, sagte ich plötzlich, und meine Stimme klang rauh und erschöpft, »der einzige, der mich ich selbst sein läßt, geschlagen, wie ich bin, und der sich nicht von mir abwendet.«
    »Inwiefern?«
    »Oh. Alle anderen müssen mich verdammen, für meinen Jähzorn, Ungestüm, meinen Willen! Das macht ihnen Spaß. Aber wenn ich die Schwäche in mir zeige, dann sperren sie mich aus.« Ich mußte daran denken, wie Louis mich abgewiesen hatte und daß ich ihn sehr bald wiedersehen würde, und eine böse Genugtuung erwachte in mir. Ah, er würde sehr überrascht sein. Aber dann überkam mich leise Angst. Wie würde ich ihm vergeben? Wie konnte ich verhindern, daß mein kostbarer Jähzorn explodierte wie eine große, mutwillige Flamme?
    »Wir möchten unsere Helden oberflächlich machen«, sagte er langsam und beinahe traurig. »Wir möchten sie spröde und zerbrechlich machen. Sie sind es, die uns daran erinnern müssen, was Stärke wirklich bedeutet.«
    »Ist es das?« fragte ich. Ich drehte mich zu ihm um, verschränkte die Arme auf dem Tisch, betrachtete das fein geschliffene Glas mit dem blaßgelben Wein. »Bin ich denn wirklich stark?«
    »O ja, stark warst du immer. Und deshalb beneiden und verachten sie dich, deshalb sind sie dir immer böse. Aber das brauche ich dir nicht zu sagen. Vergiß diese Frau. Es wäre falsch gewesen, so falsch.«
    »Und du, David? Mit dir wäre es nicht falsch.« Ich blickte auf, und zu meiner Überraschung sah ich, daß seine Augen jetzt feucht und richtig rot waren, und wieder trat dieser steife Zug an seinem Mund hervor. »Was ist denn, David?« fragte ich.
    »Nein, es wäre nicht falsch«, sagte er. »Ich glaube jetzt, daß es ganz und gar nicht falsch wäre.«
    »Soll das heißen …?«
    »Bringe mich hinein, Lestat«, wisperte er, und dann raffte er sich auf, der wohlerzogene englische Gentleman, voller Entsetzen und Mißbilligung ob seiner eigenen Emotionen, und er schaute über das Gewimmel der Menge zum fernen Meer hinüber.
    »Meinst du das ernst, David? Bist du sicher?« In Wirklichkeit wollte ich diese Fragen nicht stellen. Ich wollte kein weiteres Wort mehr sprechen. Aber warum? Warum war er zu diesem Schluß gekommen? Was hatte ich mit dieser wahnsinnigen Eskapade bei ihm angerichtet? Ich wäre jetzt nicht der Vampir Lestat, wenn er nicht gewesen wäre. Aber was für einen Preis mußte er dafür bezahlt haben.
    Ich sah ihn wieder vor mir, wie er am Strand von Grenada den simplen Liebesakt verweigert hatte. Er litt jetzt, wie er da gelitten hatte. Und plötzlich kam es mir überhaupt nicht mehr rätselhart vor, daß er so weit gekommen war. Ich hatte ihn so weit gebracht, mit unserem kleinen Abenteuer, bei dem wir gemeinsam den Körperdieb besiegt hatten.
    »Komm«, sagte ich zu ihm. »Es ist jetzt wirklich Zeit zu gehen, weg von all dem hier, dahin, wo wir allein sein können.« Ich zitterte. Wie oft hatte ich von diesem Augenblick geträumt.
    Und doch war er jetzt so schnell gekommen, und es gab so vieles, was ich ihn fragen wollte.
    Plötzlich überkam mich eine schreckliche Schüchternheit. Ich konnte ihn nicht ansehen. Ich dachte an das intime Erlebnis, das wir bald gemeinsam haben würden, und ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Mein Gott, jetzt benahm ich mich, wie er sich in New Orleans benommen hatte, als ich in diesem strammen jungen Körper gewesen war und ihn mit meinem wilden Verlangen bombardiert hatte.
    Mein Herz hämmerte erwartungsvoll. David, David in meinen Armen. Davids Blut, das in mich hineinströmte. Und meins würde in David fließen, und dann würden wir zusammen am Rande des Wassers stehen, dunkle, unsterbliche Brüder. Ich konnte kaum sprechen, ja, nicht einmal denken.
    Ich stand auf, ohne ihn anzusehen, überquerte die Terrasse und ging die Treppe hinunter. Ich wußte, daß er mir folgte. Ich war wie Orpheus. Ein Blick

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