Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
zurück, und er würde fortgerissen werden. Vielleicht blitzten die hellen Scheinwerfer eines vorüberfahrenden Autos in meinem Haar und meinen Augen auf eine Weise, daß er plötzlich vor Angst erstarrte.
Ich ging voraus, die Straße hinunter, vorbei an der trägen Parade der Sterblichen in ihrer Strandkleidung, vorbei an den kleinen Gehwegtischen der Cafes. Ich ging geradewegs ins Park Central und wieder durch das Foyer mit seiner funkelnden, hochgezüchteten Pracht und dann die Treppe hinauf in meine Suite.
Ich hörte, wie er die Tür hinter mir schloß.
Ich trat ans Fenster und schaute in den leuchtenden Abendhimmel hinaus. Mein Herz, sei ruhig! Nichts übereilen. Es ist zu wichtig, daß jeder Schritt mit größter Sorgfalt unternommen wird.
Sieh dir die Wolken an, die so hastig vor dem Paradies davonziehen. Sterne, Glitzerpunkte nur, die mühsam gegen die fahle Flut des Abendlichtes kämpfen.
Es gab Dinge, die ich ihm sagen, Dinge, die ich ihm erklären mußte. Er würde für alle Zeit so bleiben, wie er in diesem Augenblick war; gab es vielleicht eine kleine körperliche Sache, die er noch ändern wollte? Sich rasieren, die Haare kürzer schneiden?
»Nichts davon ist wichtig«, sagte er in seinem sanften, kultivierten englischen Ton. »Was hast du?« So gütig, als wäre ich derjenige, der beruhigt werden mußte. »Ist es nicht das, was du wolltest?«
»O doch, das ist es wahrhaftig. Aber du mußt sicher sein, daß du es auch willst.« Erst jetzt drehte ich mich um.
Er stand im Schatten, ganz gefaßt in seinem adretten weißen Leinenanzug, der Knoten der blassen Seidenkrawatte ordentlich an seinem Hals. Das Licht der Straße leuchtete hell in seinen Augen und blitzte für einen Moment in der kleinen goldenen Nadel an seiner Krawatte.
»Ich kann es nicht erklären«, flüsterte ich. »Es ist so schnell gekommen, so plötzlich, als ich sicher war, daß es nicht kommen würde. Ich fürchte für dich. Ich fürchte, du könntest einen schrecklichen Fehler begehen.«
»Ich will es«, sagte er. Aber wie angespannt war seine Stimme, wie dunkel, ganz ohne diese helle, lyrische Note. »Ich will es mehr, als du dir vorstellen kannst. Tu es gleich, bitte. Verlängere meine Qual nicht. Komm zu mir. Was kann ich tun, um dich dazu einzuladen? Dich zu bestärken? Oh, ich hatte mehr Zeit, als du ahnst, um über dieser Entscheidung zu brüten. Bedenke, wie lange ich eure Geheimnisse schon kenne, euer aller Geheimnisse.«
Wie seltsam sein Gesicht aussah, wie hart seine Augen, wie steif und bitter der Mund.
»David, irgend etwas stimmt hier nicht«, sagte ich. »Ich weiß es. Hör zu, wir müssen das alles besprechen. Es ist vielleicht das wichtigste Gespräch, das wir je rühren werden. Was ist passiert, daß du es willst? Was war es? Die Zeit, die wir zusammen auf der Insel verbracht hatten? Erkläre es mir. Ich muß es verstehen.«
»Du verschwendest Zeit, Lestat.«
»Oh, aber hierfür muß man sich Zeit nehmen, David; es ist das letztemal, daß es auf Zeit wirklich ankommt.«
Ich näherte mich ihm, ließ mir seinen Geruch mit Absicht in die Nase steigen, ließ die Witterung seines Blutes absichtlich an mich herankommen und in mir das Verlangen erwecken, dem es gleichgültig war, wer er war oder was ich war - den scharfen Hunger auf ihn, der nur seinen Tod wollte. Der Durst in mir zuckte und schnappte wie eine mächtige Peitsche.
Er wich zurück. Ich sah Angst in seinen Augen.
»Nein, fürchte dich nicht. Glaubst du, ich würde dir etwas antun? Wie hätte ich diesen dummen kleinen Körperdieb besiegen können, wenn du nicht gewesen wärst?«
Sein ganzes Gesicht erstarrte, die Augen wurden klein, sein Mund spannte sich, daß es aussah wie eine Grimasse. Wie furchtbar und fremd er aussah. Was in Gottes Namen ging in seinem Kopf vor? Alles war falsch an diesem Augenblick, dieser Entscheidung! Da war keine Freude, keine Intimität. Es war falsch.
»Öffne dich mir!« flüsterte ich.
Er schüttelte den Kopf, und seine Augen blitzten und wurden wieder schmal. »Wird es nicht passieren, wenn das Blut fließt?« Spröde, seine Stimmet
»Gib mir ein Bild, Lestat, das ich in Gedanken festhalten kann. Ein Bild gegen die Angst.«
Ich war verwirrt. Ich wußte nicht genau, was er meinte.
»Soll ich an dich denken und wie schön du bist?« fragte er zärtlich. »Und daran, daß wir Zusammensein werden, Gefährten für alle Zeit?«
»Denke an Indien«, flüsterte ich. »Denke an den Mangrovenwald und daran, als du am
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