Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
getrunken hatte, war nun weggewischt.
Andere Träume fielen mir wieder ein, wie es mir im kalten Winter immer geschieht: von den rauhen, elenden Schneefällen meiner sterblichen Kindheit, von den eisigen Steingemächern im Schloß meines Vaters und von dem kleinen Feuer und meinen großen Mastiffs, die neben mir im Heu schnarchen und es mir warm und behaglich machen.
Diese Hunde waren auf meiner letzten Wolfsjagd getötet worden.
Ich haßte die Erinnerung daran, und doch war es immer so schön, mir vorzustellen, ich sei wieder da - im sauberen Duft des kleinen Feuers, umgeben vom Geruch der starken Hunde, die an meine Seite geworfen waren -, und ich lebte, lebte wirklich! Und die Jagd hatte nie stattgefunden, ich war nie nach Paris gegangen, ich hatte nie den mächtigen und wahnsinnigen Vampir Magnus verführt. Die kleine Steinkammer war erfüllt vom guten Geruch der Hunde, und ich konnte neben ihnen schlafen jetzt und war in Sicherheit.
Endlich näherte ich mich einem kleinen elisabethanischen Landhaus in den Bergen, einem wunderschönen Steingebäude mit steilen Dächern und schmalen Giebeln und tiefliegenden, dicken Glasfenstern - viel kleiner als das Mutterhaus, aber doch auf seine Weise großartig.
Nur eine Fensterreihe war erleuchtet, und als ich herankam, sah ich, daß dahinter die Bibliothek lag, und David war da; er saß vor einem großen, laut knisternden Feuer.
Er hielt sein vertrautes ledergebundenes Tagebuch in der Hand und schrieb sehr schnell mit einem Füllfederhalter. Daß er beobachtet wurde, ahnte er nicht. Ab und zu konsultierte er ein zweites ledergebundenes Buch, das neben ihm auf dem Tisch lag. Ich erkannte mühelos, daß es eine christliche Bibel war, zweispaltig mit kleinen Lettern gedruckt, mit Goldschnitt und einem Leseband, das die Stelle markierte, bei der er gewesen war.
Mit nur wenig mehr Anstrengung sah ich, daß es das Buch Genesis war, was David las; anscheinend machte er sich Notizen. Sein Faust lag daneben. Was um alles in der Welt interessierte ihn daran?
Die Wände des Raumes waren mit Büchern bedeckt. Eine einzelne Lampe brannte über Davids Schulter. Das Ganze sah aus wie viele Bibliotheken in nördlichen Breiten: gemütlich und einladend, mit niedriger Balkendecke und großen, bequemen alten Ledersesseln.
Was sie ungewöhnlich sein ließ, waren die Überbleibsel eines Lebens in anderen Breiten. Hier waren sie, seine kostbaren Erinnerungsstücke an das Leben in jenen Tagen.
Der präparierte Kopf eines gefleckten Leoparden hing über dem leuchtenden Kamin. Und der mächtige schwarze Schädel eines Büffels prangte an der Wand hinten rechts. Zahlreiche kleine Hindustatuen aus Bronze standen hier und dort auf Regalen und Tischen. Kleine, juwelenartige indische Läufer lagen auf dem braunen Teppich vor dem Kamin, der Tür und den Fenstern.
Und das langgestreckte, flammende Fell seines bengalischen Tigere lag ausgebreitet mitten im Zimmer; der Kopf war sorgfältig konserviert, mit Glasaugen und diesen gewaltigen Fangzähnen, die ich in so grausiger Lebendigkeit in meinem Traum gesehen hatte.
Dieser letzten Trophäe wandte David plötzlich seine ganze Aufmerksamkeit zu; dann löste er den Blick mit Mühe wieder davon und schrieb weiter. Ich versuchte in seine Gedanken einzudringen. Nichts. Weshalb machte ich mir überhaupt die Mühe? Kein Schimmer von den Mangrovenwäldern, in der eine solche Bestie erlegt worden sein könnte. Doch dann schaute er wieder den Tiger an, und er vergaß das Schreiben und versank in Gedanken.
Natürlich war es mir schon ein Trost, ihn bloß zu sehen, wie es das ja immer gewesen war. Ich erhaschte zahlreiche gerahmte Fotos im Schatten - Bilder von David in seiner Jugend, viele davon offensichtlich in Indien vor einem hübschen Bungalow mit breiter Veranda und hohem Dach aufgenommen. Bilder von seinen Eltern. Bilder von ihm mit Tieren, die er getötet hatte. Erklärte das meinen Traum?
Ich achtete nicht auf den Schnee, der rings um mich herum fiel und mein Haar, meine Schultern und sogar meine locker verschränkten Arme bedeckte. Schließlich rührte ich mich. Es war nur noch eine Stunde bis zum Morgengrauen.
Ich ging um das Haus herum, fand eine Hintertür, befahl dem Riegel zurückzugleiten und betrat eine warme kleine Diele mit niedriger Decke. Altes Holz überall, durch und durch getränkt mit Lacken oder Öl. Ich legte meine Hand an die Türbohlen, und kurz schimmerte ein mächtiger Eichenwald im Sonnenschein, doch dann umgab mich
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