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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wieder Schatten. Ich roch den Duft des feinen Feuers.
    Ich erkannte, daß David am anderen Ende der Diele stand und mir winkte, näher zu kommen. Aber etwas in meiner Erscheinung beunruhigte ihn. Nun ja, ich war von Schnee und einer dünnen Eisschicht bedeckt.
    Wir gingen zusammen in die Bibliothek, und ich setzte mich ihm gegenüber in einen Sessel. Er verließ mich für einen Augenblick, und ich starrte nur ins Feuer und fühlte, wie es den Reif, der mich überzog, zum Schmelzen brachte. Ich dachte an den Grund meines Kommens und wie ich ihn in Worte fassen sollte. Meine Hände waren so weiß wie der Schnee.
    Als er wiederkam, brachte er ein großes warmes Handtuch mit; ich nahm es und wischte mir Gesicht, Haare und Hände ab. Wie gut es sich anfühlte.
    »Danke«, sagte ich.
    »Sie haben ausgesehen wie eine Statue«, sagte er.
    »Ja, ich sehe jetzt wirklich so aus, nicht wahr? Ich bleibe übrigens nicht.«
    »Was meinen Sie damit?« Er setzte sich mir gegenüber. »Erklären Sie es mir.«
    »Ich gehe irgendwohin in die Wüste. Ich glaube, ich habe einen Weg gefunden, ein Ende zu machen. Es ist keine einfache Sache, durchaus nicht.«
    »Warum wollen Sie das tun?«
    »Will nicht mehr lebendig sein. Es ist einfach genug. Ich freue mich nicht auf den Tod, wie ihr das tut. Das ist es nicht. Heute nacht habe ich…« Ich brach ab. Ich sah die alte Frau auf ihrem ordentlichen Bett in ihrem geblümten Hausmantel auf der Nylonsteppdecke. Dann sah ich den merkwürdigen Mann mit den braunen Haaren, der mich beobachtete, den, der am Strand zu mir gekommen war und mir die Geschichte gegeben hatte, die ich immer noch in der Tasche bei mir trug.
    Ohne Bedeutung. Du bist zu spät gekommen, wer immer du bist.
    Wieso noch die Mühe einer Erklärung?
    Ich sah plötzlich Claudia, als stehe sie dort in einer anderen Sphäre, schaue mich an, warte darauf, daß ich sie sähe. Wie raffiniert, daß wir mit unserem Geist ein scheinbar so reales Bild heraufbeschwören können. Ebensogut hätte sie da sein können, gleich neben Davids Schreibtisch, im Schatten. Claudia, die ihr langes Messer mit aller Kraft in meine Brust gestoßen hatte. »Ich lege dich für immer in deinen Sarg, Vater.« Aber ich sah Claudia jetzt ja unentwegt, nicht wahr? Ich sah Claudia im Traum, immer wieder…
    »Tun Sie das nicht«, sagte David.
    »Es ist Zeit, David«, flüsterte ich, und unbestimmt und wie von ferne dachte ich daran, wie enttäuscht Marius sein würde.
    Hatte David mich gehört? Vielleicht war mein Flüstern zu leise gewesen. Ein leises Knistern kam vom Feuer, vielleicht ein paar Späne, die ineinanderfielen, oder noch etwas feuchter Saft, der in dem dicken Klotz verzischte. Wieder sah ich die kalte Schlafkammer im Heim meiner Kindheit, und plötzlich hatte ich meinen Arm um einen dieser großen Hunde gelegt, dieser faulen, liebevollen Hunde. Es ist ein monströser Anblick, wenn ein Wolf einen Hund tötet!
    Ich hätte an jenem Tag sterben sollen. Nicht einmal die besten Jäger sollten in der Lage sein, ein Rudel Wölfe zu erlegen. Und vielleicht war das der kosmische Irrtum. Ich hatte gehen sollen, wenn es in der Tat eine solche Kontinuität gibt, und indem ich mich übernommen hatte, hatte ich das Auge des Teufels auf mich gelenkt. »Wolfstöter.« Der Vampir Magnus hatte es so liebevoll gesagt, als er mich in seinen Bau getragen hatte.
    David hatte sich in seinen Sessel zurücksinken lassen und geistesabwesend einen Fuß auf das Kamingitter gelegt; er schaute in die Flammen. Er war tief bestürzt und auch ein wenig panisch, wenngleich er es gut in sich zu verbergen wußte.
    »Wird es nicht schmerzhaft sein?« fragte er und sah mich an.
    Einen Augenblick lang wußte ich nicht, was er meinte. Dann fiel es mir wieder ein.
    Ich lachte kurz.
    »Ich bin gekommen, um mich von Ihnen zu verabschieden und Sie zu fragen, ob Sie sich in Ihrer Entscheidung sicher sind. Irgendwie fand ich, es sei richtig, Ihnen zu sagen, daß ich gehe und daß dies Ihre letzte Chance ist. Es erschien mir irgendwie anständig. Können Sie mir folgen? Oder glauben Sie, es ist einfach bloß wieder ein Vorwand? Ist eigentlich nicht so wichtig.«
    »Wie Magnus in Ihrer Geschichte«, stellte er fest. »Sie schaffen sich einen Erben, und dann gehen Sie ins Feuer.«
    »Das war nicht bloß eine Geschichte.« Ich hatte nicht streiten wollen und fragte mich, warum es jetzt so klang. »Und - jawohl, vielleicht ist es so. Ich weiß es ehrlich nicht.«
    »Warum wollen Sie sich vernichten?«

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