Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
ist mein Leben in Brasilien - was ich nachher im Dschungel aufgeschrieben habe, mit einer kleinen, klapprigen Reiseschreibmaschine an einem Campingtisch, bevor ich nach England zurückkam. Ich bin natürlich auch noch auf die Jagd nach dem Jaguar gegangen. Das mußte ich. Aber diese Jagd war nichts im Vergleich mit meinen Erlebnissen in Rio, absolut nichts. Es war der Wendepunkt, verstehen Sie. Ich glaube, die Niederschrift an sich war der verzweifelte Versuch, wieder ein Engländer zu werden, mich von den Candomble-Leuten zu distanzieren, von dem Leben, das ich mit ihnen geführt hatte. Mein Bericht für die Talamasca basierte auf dem Material hier.«
    Ich nahm ihm die Mappe dankbar ab.
    »Und das hier« - er hielt die andere hoch - »ist eine kurze Zusammenfassung meiner Zeit in Indien und Afrika.«
    »Das würde ich auch gern lesen.«
    »Alte Jagdgeschichten überwiegend. Ich war jung, als ich es schrieb. Große Gewehre und eine Menge Action. Das war vor dem Krieg.«
    Ich nahm auch die zweite Mappe entgegen und stand auf, langsam und gentlemanlike.
    »Ich habe die Nacht verplaudert«, sagte er plötzlich. »Das war ungehörig von mir. Vielleicht hatten Sie auch etwas zu sagen.«
    »Nein, ganz und gar nicht. Es war genau das, was ich wollte.« Ich reichte ihm die Hand, und er nahm sie. Erstaunlich, das Gefühl seiner Berührung an meiner verbrannten Haut.
    »Lestat«, sagte er, »die kleine Kurzgeschichte hier… die Lovecraft-Geschichte. Wollen Sie sie wiederhaben, oder soll ich sie für Sie verwahren?«
    »Ah, ja, also, das ist eine interessante Geschichte - ich meine, wie sie in meinen Besitz kam.«
    Ich nahm ihm die Story ab und steckte sie in die Jackentasche. Vielleicht würde ich sie noch einmal lesen. Meine Neugier kehrte zurück und mit ihr eine Art furchtsamer Argwohn. Venedig, Hongkong, Miami. Wie hatte dieser seltsame Sterbliche mich an allen drei Orten entdecken und dafür sorgen können, daß ich ihn auch entdeckt hatte?
    »Haben Sie Lust, sie mir zu erzählen?« fragte David sanft. »Wenn wir mehr Zeit haben«, sagte ich, »werde ich sie Ihnen erzählen.« Vor allem, wenn ich den Burschen noch mal sehe, dachte ich. Wie hatte er das nur geschafft?
    Ich ging in zivilisierter Form hinaus, machte sogar absichtlich ein bißchen Lärm, als ich die Hintertür des Hauses schloß.
     
    Es war kurz vor Morgengrauen, als ich London erreichte. Und zum erstenmal seit vielen Nächten war ich tatsächlich froh über meine ungeheuren Kräfte und über das machtvolle Gefühl von Sicherheit, das sie mir vermittelten. Ich brauchte keine Särge, keine finsteren Verstecke; mir genügte ein Zimmer, das vor den Strahlen der Sonne geschützt war. Ein modisches Hotel mit schweren Vorhängen bot mir genug Frieden und Behaglichkeit.
    Und ich hatte ein bißchen Zeit, um im warmen Schein einer Lampe zur Ruhe zu kommen und mir Davids brasilianisches Abenteuer vorzunehmen; ich freute mich mit ganz ungewöhnlichem Entzücken darauf.
    Ich hatte fast kein Geld bei mir, dank meiner Unbesonnenheit und meinem Wahnwitz, und so nutzte ich meine beträchtliche Überredungskraft, um die Rezeption des ehrwürdigen alten Claridge’s davon zu überzeugen, daß sie die Nummer meines Kreditkartenkontos akzeptierten, obwohl ich keine Karte dabeihatte, um sie zu belegen, und auf meine bloße Unterschrift hin - Sebastian Melmoth, eines meiner Lieblingspseudonyme - zeigte man mir eine hübsche Suite in einem der oberen Stockwerke, vollgestopft mit entzückenden Queen-Anne-Möbeln und ausgestattet mit allem Komfort, den ich mir wünschen konnte.
    Ich hängte das höfliche kleine Täfelchen hinaus, das besagte, ich wolle nicht gestört werden, hinterließ an der Rezeption die Anweisung, daß man mich erst geraume Zeit nach Sonnenuntergang behelligen dürfe, und verriegelte alle Türen von innen.
    Ich hatte eigentlich keine Zeit mehr zum Lesen. Der Morgen erwachte hinter dem schweren grauen Himmel, und noch immer wehte der Schnee in großen, weichen, nassen Flocken herab. Ich schloß alle Vorhänge bis auf einen, damit ich den Himmel sehen konnte, und dann stand ich an meinem Fenster an der Vorderseite des Hotels und wartete auf das Spektakel des Lichts; noch immer hatte ich ein bißchen Angst vor seiner Wut, und diese Angst ließ - mehr als alles andere - den Schmerz in meiner Haut ein bißchen schlimmer werden.
    Ich mußte viel an David denken; seit ich ihn verlassen hatte, war mir unser Gespräch eigentlich nicht einen Augenblick lang aus dem Kopf

Weitere Kostenlose Bücher