Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
des Körpers nachahmte, sozusagen darin Halt fand, klammerte sie sich an ein Leben, wie sie es kannte, und sicherte sich so ihren Fortbestand durch Anpassung an die einzige ihr bekannte Form der Existenz.«
Ich war gefesselt von seinen Worten. Aber natürlich kam mir Roger in den Sinn, und zwar ganz lebhaft, da er der einzige Geist war, den ich je zu Gesicht bekommen hatte. Und was Memnoch gerade dargelegt hatte, war eine äußerst lebendige Beschreibung von Rogers letzter Erscheinungsform.
»O ja, wie recht du hast«, sagte Memnoch. »Dann war es vielleicht doch ganz gut, daß er sich dir zeigte, obwohl ich es zum damaligen Zeitpunkt ausgesprochen lästig fand.«
»Du wolltest nicht, daß Roger zu mir kam?«
»Ich habe euch gesehen und gehört. Er verblüffte mich wie dich, aber das ist mir bereits mit anderen Geistern passiert. So außergewöhnlich war er nun auch wieder nicht. Aber von mir inszeniert war sein Erscheinen nicht, falls du das meinst.«
»Aber er kam fast gleichzeitig mit dir! Mir schien es da einen Zusammenhang zu geben.«
»So? Worin sollte der bestehen? Such ihn in dir selbst. Meinst du nicht, daß die Toten schon früher versucht haben, zu dir zu sprechen? Glaubst du nicht, daß auch vorher schon die Seelen deiner Opfer hinter dir her waren? Zugegeben, deine Opfer geben ihren Geist üblicherweise in totaler Seligkeit und Verwirrung auf, ohne dich als Verursacher ihres Todes überhaupt wahrzunehmen. Aber das ist nicht immer so. Vielleicht hast du dich ja verändert! Und wie wir beide wissen, hast du diesen Sterblichen Roger geliebt, du hast ihn bewundert, hattest Verständnis für seine Eitelkeit, für seine Liebe zu Heiligem, zu Mysterien - und zu Kostbarkeiten, denn das sind auch deine Neigungen.«
»Zweifellos ist das alles wahr, aber ich meine immer noch, daß du etwas mit seinem Erscheinen zu tun hattest«, beharrte ich.
Schockiert schaute er mich eine Weile an, fast so, als wollte er ärgerlich werden, aber dann lachte er.
»Warum?« fragte er. »Warum sollte ich mich mit so etwas herumplagen? Du weißt, worum ich dich bitte! Du weißt, was es bedeutet! Dir sind mystische oder theologische Offenbarungen nicht fremd. Schon damals waren sie es nicht, als du noch ein lebendiger Mensch warst - denk an Frankreich zurück, an den Jüngling, der du warst, als dir bewußt wurde, daß du sterben könntest, ohne herausgefunden zu haben, was es mit dem Universum auf sich hat. Du ranntest zum Dorfpriester, weil du von dem armen Kerl wissen wolltest, ob er an Gott glaube.«
»Ja, ja. Aber hier geschah doch wirklich alles gleichzeitig. Und wenn du jetzt behauptest, da gäbe es keine Verbindung - ich… ich glaube es einfach nicht«, sagte ich.
»Du bist doch wirklich und wahrhaftig ein verdammter Quälgeist!« rief er, und eine gewisse Erbitterung war nicht zu überhören. »Lestat, siehst du denn nicht, was dich zu diesen komplexen Persönlichkeiten, zu Roger und seiner Tochter Dora, hindrängte? Ebendies zwang auch mich, zu dir zu kommen! Du hattest einen Punkt in deiner Entwicklung erreicht, der dich zum Übernatürlichen greifen ließ. Du hast zum Himmel um Vernichtung geschrien! Als du David nahmst, war das vielleicht dein wirklich erster Schritt zur gänzlichen Aufgabe jeglicher Moral! Daß du dieses Kind Claudia zu einem Vampir gemacht hattest, konntest du dir noch vergeben, denn damals warst du jung und dumm. Aber David da hineinzuziehen, gegen seinen Willen! Davids Seele diesem vampirischen Dämon zu opfern? Das war ein Verbrechen ohnegleichen, eine himmelschreiende Untat! Gerade David, dem wir einst einen Blick auf uns gestattet hatten, weil wir so sehr daran interessiert waren, was für eine Entwicklung er nehmen würde.«
»Aha, also war die Erscheinung, die David hatte, beabsichtigt.«
»Hatte ich das nicht gesagt?«
»Aber Roger und Dora, die waren einfach nur im Weg?«
»Ja. Allerdings hattest du dir ein äußerst auffallendes und verlockendes Opfer ausgesucht! Einen Mann, der sein Handwerk - als Krimineller, als Spieler, als Dieb - genauso gut verstand wie du das deine. Es war ein weitaus kühneres Unterfangen. Dein Appetit wächst und gefährdet dich und deine Umgebung zusehends. Du gibst dich nicht mehr mit den vom Schicksal Gebeugten, mit Heruntergekommenen und Mördern zufrieden. Als du die Hand nach Roger ausstrecktest, griffst du damit nach Macht und Ruhm, was willst du also?«
»Ich fühle mich zerrissen«, flüsterte ich.
»Weswegen?«
»Weil ich Liebe für dich
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