Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
empfinde«, antwortete ich, »und dieser Empfindung schenke ich immer Aufmerksamkeit, wie wir wohl beide wissen. Ich habe das Gefühl, du verschlingst mich. Ich will wissen, was du mir noch zu sagen hast! Und ich meine, daß du mich in bezug auf Roger - und Dora - belügst. Ich glaube, daß da ein Zusammenhang besteht. Und wenn ich an Gott, den fleischgewordenen Gott, denke -« Ich brach ab, unfähig weiterzusprechen.
    Die Erinnerung daran, wie es im Himmel gewesen war - soweit ich die Gefühle noch rekonstruieren konnte -, überwältigte mich, und ich stieß den Atem mit einem so kummervollen Seufzer aus, daß Tränen nicht ausdrucksvoller hätten sein können. Ich mußte wohl die Augen geschlossen haben, denn als ich sie wieder öffnete, hielt Memnoch mich bei beiden Händen. Seine Hände waren warm und kräftig und ungewöhnlich glatt. Wie kalt ihm meine Hände scheinen mußten. Er hatte größere Hände als ich, makellos. Meine Hände… meine seltsam weißen, schlanken, schimmernden Hände. Die Fingernägel blitzten wie Eis in der Sonne, daran hatte sich nichts geändert.
    Er zog sich zurück, und das empfand ich als überaus qualvoll. Meine Hände verharrten in ihrer Haltung, starr, ganz verlassen. Er stand jetzt einige Schritte von mir entfernt und drehte mir den Rücken zu, während er über das Wasser blickte. Seine Flügel waren sichtbar, riesenhaft, in unruhiger Bewegung, wie von innerer Spannung getrieben. Er sah vollkommen aus, unwiderstehlich und verzweifelt. »Vielleicht hat Gott doch recht!« rief er mit Wut in der gedämpften Stimme. »Womit denn?« Ich erhob mich. Immer noch drehte er sich nicht zu mir um. »Memnoch, bitte rede weiter. Hin und wieder habe ich das Gefühl, ich müßte unter dem, was du mir eröffnest, zusammenbrechen. Aber sprich weiter. Bitte, bitte, sprich weiter.«
    »Das ist deine Art, dich zu entschuldigen, nicht wahr?« fragte er sanft. Die Schwingen verschwanden. Langsam kam er zu mir herüber, und wir nahmen wieder nebeneinander Platz. Ohne daß ich weiter darauf geachtet hätte, bemerkte ich dabei, daß sich Staub auf dem Saum seines Gewandes befand. Auch waren ein paar grüne Blätter in den lose fallenden Strähnen seines Haares hängengeblieben.
    »Nein, eigentlich nicht«, sagte ich. »Das war keine Entschuldigung. Ich sage gewöhnlich genau das, was ich meine.«
    Eingehend betrachtete ich sein Gesicht - das wie gemeißelt wirkende Profil, die Haut, die so überwältigend menschlich aussah und doch nicht ein Härchen aufwies. Unbeschreiblich. Wenn man in einer Renaissancekirche eine überlebensgroße Statue betrachtet, ihre Vollkommenheit wahrnimmt, dann spürt man keine Angst, weil man weiß, sie ist aus Stein. Aber das hier vor mir war lebendig.
    Er wandte sich mir jetzt direkt zu, so, als habe er bemerkt, daß ich ihn betrachtete. Er sah mir direkt in die Augen - seine Augen waren klar, mit Myriaden von Farben darin. Dann beugte er sich vor, und ich spürte seine Lippen meine Wange berühren - sanft, glatt, ein ganz klein wenig feucht. Glühendes Leben fuhr durch die harte Kälte meines Ich. Eine wilde Flamme fraß sich in jede Zelle meines Körpers, wie es sonst nur Blut kann, lebendiges Blut. Schmerz durchzuckte mein Herz, ich hätte den Finger direkt auf die Stelle in meiner Brust legen können.
    »Und was fühlst du?« fragte ich, während ich noch mit den verheerenden Folgen dieser Berührung kämpfte.
    »Ich fühle das Blut ungezählter Opfer«, flüsterte er. »Ich fühle eine Seele, die tausend Seelen erkannt hat.«
    »Erkannt? Oder nur zerstört?«
    »Willst du mich aus Selbsthaß fortschicken?« fragte er. »Oder soll ich mit meiner Erzählung fortfahren?«
    »Bitte, sprich weiter, bitte.«
    »Der Mensch hatte also Gott errunden oder entdeckt«, sagte er. Seine Stimme klang gefaßt und hatte wieder den kultivierten und fast bescheidenen, belehrenden Ton angenommen. »Und manche Stämme verehrten mehrere dieser Gottheiten, je nach ihren Vorstellungen von deren Schaffenskraft. Ach ja, und die Menschen wußten natürlich, daß die Seelen der Toten weiterexistierten; sie versuchten, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, indem sie ihnen Opfergaben darbrachten, zum Beispiel an den Gräbern. Sie riefen die Seelen der Verstorbenen an, baten sie um Beistand bei der Jagd, bei Geburten und vielem mehr.
    Und als wir Engel unsere Aufmerksamkeit auf Scheol richteten - unsichtbar glitten wir hinein, denn unser eigentlicher Wesenskern konnte in diesem Reich, das nur aus Seelen

Weitere Kostenlose Bücher