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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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lodernden Flamme. Davon sah ich nichts.
    Wie ich dir schon sagte, von Scheol aus konnte man das Licht Gottes nicht wahrnehmen, die Tröstungen Gottes existierten für diesen Ort nicht. Dabei waren dies doch spirituelle Wesen, geschaffen nach unserem und Seinem Bilde, und an dieses Abbild klammerten sie sich, voller Sehnsucht nach einem Leben nach dem Tode. Das eben war so unerträglich schmerzhaft. Dieser Hunger nach einem Leben über den Tod hinaus.«
    »Wenn dieses Verlangen zum Zeitpunkt des Todes fehlte, wurde die Seele dann automatisch ausgelöscht?« fragte ich.
    »Nein, keineswegs. Das Verlangen schien angeboren. Erst wenn es in Scheol nachließ, löste die Seele sich auf. Die Seelen waren ja dort unzähligen Erfahrungen ausgesetzt, und die, die dadurch stärker wurden, betrachteten sich selbst oft als Götter oder als Menschen, die in das Reich des gütigen Gottes eingegangen waren und über andere Menschen wachen sollten. Diese Seelen gewannen häufig auch Macht über andere Seelen, so daß sie ihnen Kraft verleihen und sie manchmal auch vor dem Verlöschen bewahren konnten.«
    Er unterbrach sich, als sei er nicht sicher, wie er fortfahren sollte. Dann sagte er: »Aber es gab einige Seelen, die ein anderes Verständnis ihrer Lage entwickelten. Die wußten, daß sie keine Götter waren, sondern tote Menschen und daß sie nicht das Recht hatten, das Schicksal derer, die zu ihnen beteten, zu beeinflussen; sie wußten, daß die Trankopfer im wesentlichen symbolisch waren, sie verstanden die Bedeutung des Begriffs ›symbolisch‹. All das war ihnen klar, und deshalb hielten sie sich für verloren. Wenn sie gekonnt hätten, wären sie wieder in einen Körper zurückgekehrt, denn das Körperliche war für sie alles, was sie je gekannt hatten, war Licht, Wärme und Trost. Und manchmal gelang solchen Seelen das auch!
    Sie benutzten dazu die unterschiedlichsten Methoden. In voller Absicht näherten sie sich geisteskranken Sterblichen und ergriffen Besitz von ihnen, von ihren Gliedern und Gehirnen, und dann lebten sie darin, bis der menschliche Körper genügend Kraft entwickelte, die fremde Seele abzuschütteln. Du weißt um diese Dinge. Eigentlich wissen es alle Menschen - was es mit Besessenheit auf sich hat. Du selbst hast einen Körper in Besitz genommen, der nicht der deine war, und dein Körper war im Besitz einer anderen Seele.«
    »Ja.« Meine Erinnerung an diese Erfahrung war durchaus noch frisch.
    »Aber das hier war nur der Beginn einer solchen Entwicklung.
    Und es war ein faszinierender Anblick, die klugen Seelen zu beobachten, wie sie die Regeln des Spiels lernten - zu sehen, wie ihre Stärke stetig wuchs.
    Aber eine Sache beunruhigte mich doch - mich, den geborenen Ankläger, der die Natur als etwas Entsetzliches betrachtet, wie Gott sagt. Was mir Furcht einflößte, war, daß diese Seelen der Verstorbenen durchaus Einfluß auf die Lebenden hatten! Schon übernahmen einige Menschen die Rolle von Orakeln. Sie tranken oder atmeten eine Droge ein, wodurch sie in eine Passivität verfielen, die es der Seele eines Verstorbenen erlaubte, durch ihren Mund zu sprechen!
    Und weil diese mächtigen Geister - denn diese Seelen würde ich Geister nennen nur die Erde und Scheol kannten, konnten sie die Menschen zu den schrecklichsten Irrtümern verleiten. Ich sah, wie sie Männer in die Schlacht schickten, Exekutionen anordneten und Blutopfer verlangten.«
    »Du sahst also die Erschaffung der Religion durch die Menschheit«, sagte ich.
    »Ja, soweit der Mensch etwas erschaffen kann. Wir wollen nicht vergessen, wer uns alle erschuf.«
    »Die anderen Engel, wie gingen die mit diesen Entdeckungen um?«
    »Die Engel reagierten sehr unterschiedlich. Einige, vor allem die Seraphim, fanden die ganze Entwicklung von Grund auf bewundernswert und meinten, man müsse Gott in unzähligen Lobgesängen preisen für Seine Schöpfung, denn die habe ein Wesen hervorgebracht, das aus sich selbst heraus eine unsichtbare Gottheit entwickeln konnte, die es dann wiederum zu noch größeren Anstrengungen im Überlebenskampf oder im Krieg anspornte.
    Dann gab es diejenigen, die dachten: ›Dies ist ein Irrtum, eine Ungeheuerlichkeit! Menschliche Seelen, die vorgeben, Götter zu sein! Das ist unsäglich, und man muß dem sofort Einhalt gebieten.‹
    Und dann war da natürlich meine leidenschaftliche Reaktion:
    ›Dies ist wirklich haarsträubend, und es wird zu immer größerem Unglück führen! Hier entsteht eine gänzlich neue Stufe des

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