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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nicht genug. Nein, die Natur geht also darüber hinaus und entwickelt aus der Materie diese gequälten Geister. Damit kommt die Natur dem Himmel nahe und doch nicht nahe genug, so daß kein anderer Name als Scheol für diesen Ort angemessen wäre.‹
    Das war zuviel für Michael. So kann man mit Erzengel Michael nicht reden. Das funktioniert einfach nicht. Deshalb kehrte er sich sofort von mir ab, nicht zornig, auch nicht aus Feigheit, weil Gottes Blitz mich ja um ein Haar verfehlen und seinen linken Flügel zerschmettern könnte, sondern in tiefem Schweigen, als wolle er sagen: ›Memnoch, du bist unduldsam und töricht.‹ Dann wandte er sich mir wieder zu und sagte barmherzig: ›Memnoch, du schaust nicht tief genug. Diese Seelen sind erst am Anfang ihrer Entwicklung. Wer weiß, wie stark sie einst sein werden? Der Mensch hat den Schritt ins Überirdische getan. Was, wenn er so werden soll wie wir?‹
    ›Aber wie sollte das angehen, Michael?‹ verlangte ich zu wissen. ›Wie sollen diese Seelen wissen, was ein Engel, was der Himmel ist? Meinst du, wenn wir uns ihnen zeigten, ihnen sagten… ?‹ Ich hielt inne. Selbst mir war klar, daß das undenkbar war. Ich hätte es nicht gewagt. Nicht in einer Million Jahren.
    Aber wir kamen gar nicht dazu, diesen Gedanken weiterzuspinnen, denn andere Engel gesellten sich zu uns und sagten: ›Seht nur, lebende Menschen wissen, daß es uns gibt.‹
    ›Wie das?‹ fragte ich. So leid mir die Menschheit auch tat, so hielt ich doch weder Männer noch Frauen für besonders klug. Doch die Engel erklärten das sogleich.
    ›Einige von ihnen haben unsere Gegenwart erspürt, so wie sie die Gegenwart einer verstorbenen Seele spüren. Mit dem gleichen Teil ihres Gehirns, mit dem sie auch andere unsichtbare Dinge erfassen. Wir sagen euch, sie haben einen Blick auf uns erhascht, und sie besitzen nun eine Vorstellung davon, wie wir aussehen‹
    ›Das kann nicht Gottes Wille sein‹, sagte Michael. ›Wir sollten sofort in den Himmel zurückkehren.‹
    Die Mehrzahl stimmte ihm sofort zu in dem wortlosen Verstehen, wie nur Engel es können. Ich stand allein da und schaute die anderen an.
    ›Was wollt ihr?‹ fragte ich. ›Gott hat mir einen Auftrag gegeben. Ich kann nicht zurück, bis ich alles verstanden habe. Und ich verstehe es einfach nicht!‹
    Darüber diskutierten sie heftig. Aber schließlich küßte Michael mich sanft auf Lippen und Wangen, wie es unter Engeln üblich ist, und stieg mit der ganzen Gesellschaft zum Himmel auf.
    Ich blieb allein auf der Erde zurück. Ich betete nicht zu Gott, beschäftigte mich nicht mit den Menschen. Ich horchte in mich hinein und dachte: ›Was soll ich tun? Ich möchte nicht als Engel gesehen werden. Ich will nicht angebetet werden wie diese weiterlebenden Seelen. Ich will auch nicht Gott erzürnen, aber was Er mir aufgetragen hat, muß ich fortführen. Ich muß einfach verstehen. Jetzt bin ich unsichtbar. Aber was wäre, wenn mir gelingt, was diesen klugen Seelen gelang - wenn ich Materie um mich sammeln könnte, um mir einen Körper zu schaffen? Und woraus der Mensch gemacht ist, weiß keiner besser als ich, der ich gesehen habe, wie er aus dieser Anhäufung von Zellen, Knochen, Fasern und Gehirnmasse entstanden ist. Nur Gott weiß es besser.‹
    Also konzentrierte ich meine gesamte Kraft, meinen gesamten Willen darauf, für mich eine lebendige Hülle aus menschlichem Fleisch zu schaffen, in allen Teilen vollkommen; und ohne überhaupt darüber nachzudenken, wählte ich die männliche Form. Muß ich dir das erklären?«
    »Eigentlich nicht«, sagte ich. »Ich kann mir vorstellen, daß du genug gesehen hattest - Vergewaltigungen, Geburten, ohnmächtige Kämpfe -, um die klügere Wahl zu treffen. Finde ich jedenfalls für mich.«
    »Richtig. Aber manchmal, manchmal frage ich mich doch, ob nicht alles ganz anders gekommen wäre, wenn ich mich entschieden hätte, weiblich zu sein. Ich hätte es gekonnt. Ehrlich gesagt, sind die Frauen uns ähnlicher. Aber wenn wir schon beides sind, so doch nicht zu gleichen Teilen, der männliche Anteil überwiegt eindeutig.«
    »Nach dem zu urteilen, was du mich bisher von dir hast sehen lassen, neige ich dazu, dir zuzustimmen.«
    »Also. Ich hüllte mich in Fleisch. Das dauerte etwas länger, als ich gedacht hatte. Ich mußte meine Erinnerung ganz gründlich nach jedem bißchen Wissen durchforschen; ich mußte diesen Körper konstruieren und meinen Wesenskern so hineinpflanzen, wie die Natur es vorgesehen

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