Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
nachbauten und zwei davon mit einer hölzernen Stange verbanden, sie etwas daraus herstellen konnten, das sich auf diesen Rädern fortbewegte!«
Er seufzte. »Ich war rastlos, es war Tollheit. Ich überschüttete sie förmlich mit meinem Wissen, erschöpfte sie damit, sie wankten unter seiner Bürde, und so ging ich zu den Höhlen und ritzte dort meine Symbole in die Wände, Bilder des Himmels und der Erde und immer wieder Engel. Ich verewigte das Licht Gottes. Unermüdlich arbeitete ich, bis jeder Muskel meines sterblichen Körpers schmerzte.
Und dann, ihrer Gesellschaft überdrüssig und übersättigt von den schönen Frauen, erzählte ich ihnen, ich müsse stumme Zwiesprache mit meinem Gott halten, und ging fort in die Wälder, wo ich zusammenbrach. Da lag ich nun in absolutem Schweigen, getröstet durch Lilias lautlose Anwesenheit, und grübelte über alles, was geschehen war. Ich dachte an die Argumente, die ich Gott hatte vortragen wollen, und wie passend sich das, was ich seitdem erfahren hatte, in genau diesen Streitfall einrügte!
Ich hatte bei den Menschen nichts gesehen, weswegen ich meine Meinung hätte ändern müssen. Daß ich Gott beleidigt hatte, daß ich ihn für immer verloren hatte, daß es für mich in Zukunft und alle Ewigkeit nur Scheol zu erwarten gab, das waren Realitäten, ich kannte sie, und sie machten mir das Herz schwer und lasteten auf meiner Seele. Aber ich konnte meine Meinung einfach nicht aufgeben.
Die Verteidigung, die ich dem Allmächtigen hatte vortragen wollen, besagte, daß diese Wesen der Natur überlegen und über sie hinausgewachsen waren, daß sie deshalb mehr von ihm erwarteten, und alles, was ich bei ihnen gesehen hatte, unterstützte meine Ansicht nur. Wie sehr sie doch von himmlischen Geheimnissen angezogen wurden. Welche Leiden sie doch ertragen mußten, und wie sehr sie nach einer Rechtfertigung dafür suchten! Wenn es doch nur einen Schöpfer gäbe, wenn dieser Schöpfer seine Gründe hätte… Oh, tiefste Pein war das. Und in ihrem Innersten flammte das Geheimnis der Lust.
Während des Orgasmus, wenn sich mein Samen in die Frauen ergoß, hatte ich eine Ekstase verspürt, die überwältigend wie die Freuden des Himmels war, und ich fühlte sie einzig und allein durch die körperliche Vereinigung mit der Person, mit der ich beisammen war. In einem Sekundenbruchteil war ich mir bewußt geworden, daß der Mensch nicht Teil der Natur war, nein, er war etwas Höheres, er gehörte zu Gott und zu uns!
Als mir die Menschen ihre verworrenen Glaubensvorstellungen vortrugen - gab es nicht allenthalben unsichtbare Monster? -, sagte ich nein. Nur Gott und Seinen Himmlischen Hofstaat gebe es, der den Lauf der Dinge fügte, und die Seelen ihrer Angehörigen in Scheol.
Als sie mich fragten, ob schlechte Menschen - die, die den Gesetzen nicht gehorchten - nach dem Tode in ein ewiges Feuer geworfen würden - eine sehr häufig vertretene Vorstellung -, war ich entsetzt und sagte ihnen, daß Gott so etwas nie zulassen würde. Eine zarte, gerade wiedererstandene Seele auf ewig der Strafe des Feuers überantworten? Eine Ungeheuerlichkeit, versicherte ich. Und wieder riet ich ihnen, die Seelen der Toten zu ehren, um ihren eigenen Schmerz zu lindem und den der Seelen in Scheol, und ich erzählte ihnen, daß sie, wenn ihr eigener Tod nahe, sich nicht fürchten, sondern leichten Herzens dem Dunkel entgegengehen sollten, die Augen immer auf das gleißende Licht des irdischen Lebens gerichtet.
Ich wußte einfach nicht, was ich ihnen sonst hätte sagen sollen. Welch Blasphemie. Und ich hatte sie begangen, wirklich ich. Und was würde nun mein Schicksal sein? Ich würde alt werden und sterben, ein verehrter Lehrmeister, und ehe das Alter kam - oder ehe irgendeine wilde Bestie oder eine Krankheit meinen Lebensfaden abschnitt -, würde ich soviel wie möglich in Stein und Ton einritzen. Und wenn ich dann in Scheol einginge, würde ich dort die Seelen zu mir rufen und sie auffordern: ›Schreit! Schreit zum Himmel!‹ Ich würde sie lehren, aufwärts zu blicken, und ihnen sagen: ›Dort ist das Licht!‹«
Tief atmete er durch, als verursache ihm jedes Wort einen brennenden Schmerz.
Wieder zitierte ich leise aus dem Buch Enoch. »Und nun sehet, die Seelen jener, die gestorben sind, stehen schreiend und bittend vor den Himmelstüren.«
»Ja, du kennst die Schriften, wie es sich für einen ordentlichen Teufel gehört«, sagte er bitter, doch sein Antlitz war derart von Trauer und Mitgefühl
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