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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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aufhören, ihr alle!« schrie Memnoch. »Nicht in meinem Reich, das werdet ihr hier nicht tun!«
    »Zertretet das Auge!«
    Das war er, der Augenblick, das war meine Chance! Ich raste die Treppe hinauf, meine Füße berührten kaum die Stufen, ich fühlte, wie mein Kopf, meine Schultern in das Licht, in das Schweigen eintauchten und in den Schnee.
    Ich war frei.
    Die Erde hatte mich wieder; unter meinen Füßen war gefrorener Boden, schlüpfriger Schneematsch. Einäugig, blutend, den Schleier immer noch unter meinem Hemd, so rannte ich durch das Schneetreiben, durch Schneeverwehungen, und nun hallten meine Schreie von Gebäuden wider, die mir vertraut waren, von den dunklen, unerbittlichen Wolkenkratzern der Stadt, die ich kannte. Heimat, Erde.
    Die Sonne war gerade hinter dem dunkelgrauen Gespinst des niedergehenden Schneesturmes verschwunden. Vor dem reinen Weiß des Schnees verging das winterliche Zwielicht um so schneller in der Dunkelheit.
    »Dora, Dora, Dora!«
    Weiter und weiter rannte ich.
    Schattenharte Gestalten Sterblicher schleppten sich durch das Unwetter, eilten über schmale, schlüpfrige Pfade, Autos krochen durch das Schneegestöber, ihre Scheinwerfer versuchten, das zunehmend dichter werdende Weiß zu durchdringen. Der Schnee häufte sich zu derartigen Wehen, daß ich auf die Knie fiel und mich dann wieder hochrappelte; doch ich gab nicht auf.
    Endlich ragten die Spitzbögen und Türme von St. Patrick vor mir auf. - St. Patrick! - Und jenseits davon die emporstrebenden Mauern des Olympic Tower. Seine gläsernen Fronten wirkten wie polierter Fels, scheinbar unbezwingbar, seine Höhe monströs, als wolle er, wie der Turm zu Babel, den Himmel erreichen.
    Ich blieb stehen, mein Herz drohte zu zerspringen.
    »Dora! Dora!«
    Ich erreichte den Eingang zur Halle, dahinter die schwindelerregenden Lichter, die glatten Böden, das Gewühl Sterblicher, realer, solider Menschen ringsum, die sich verblüfft nach dem Etwas umsahen, das sich in blitzhafter Bewegung ihren Augen entzog. Diffuse Musik und betäubende Lichter, ein Schwall künstlicher Wärme!
    Ich fand das Treppenhaus und schoß empor wie ein glühender Funke durch den Kamin, so daß ich direkt durch die hölzerne Wohnungstür krachend in das Apartment taumelte.
    Dora.
    Ich sah sie, roch sie, roch wie zuvor das Blut zwischen ihren Schenkeln. Sah ihr zartes kleines Gesicht, weiß und niedergeschlagen, und rechts und links von ihr wie Kobolde aus Kinderreimen und Höllenmärchen Armand und David, Vampire, Monster, die mich beide ebenso mit Erstaunen und Verwunderung anstarrten.
    Anfangs bemühte ich mich, das linke Auge, das doch gar nicht mehr da war, zu öffnen, dann bewegte ich den Kopf hin und her, um die drei mit dem einen, dem noch vorhandenen rechten Auge deutlich erkennen zu können.
    Ein kleiner scharfer Schmerz, wie von tausend Nadelstichen, bohrte in der leeren Höhle, in der sich mein linkes Auge berunden hatte.
    Oh, das Entsetzen auf Armands Gesicht. In seiner üblichen Eleganz stand er da, in einem Mantel aus schwerem Samt, modischen Spitzen, und die Stiefel glänzten wie Glas. Sein Gesicht, immer noch das des Botticelli-Engels, wurde von Schmerz verzerrt, als er mich ansah.
    Und David - welches Bedauern, welches Mitgefühl. Der betagte englische Gentleman und der junge großartige Körper, in dem er eingeschlossen war - dies beides gebannt in einer Gestalt, die in winterliche Tweed- und Kaschmirstoffe gekleidet war. Monster als Menschen gekleidet, aber erdverhaftet, real!
    Und die helle, jungenhafte Gestalt meiner Dora, meine schlanke, sehnsüchtige Dora mit den großen dunklen Augen.
    »Mein Schatz, mein Liebling«, rief sie, »ich bin hier!« Ihre dünnen, warmen Arme legten sich um meine schmerzenden Schultern, ungeachtet des Schnees, der aus meinen Haaren und Kleidern rieselte. Ich sank auf die Knie, vergrub mein Gesicht in ihrem Rock, nahe dem Quell des Blutes, Blut eines lebendigen Schoßes, Blut der Erde, Doras Blut, das ihr Körper spendete. Und dann fiel ich lang auf den Boden. Ich konnte mich nicht rühren, nichts sagen. Ich spürte ihre Lippen auf den meinen.
    »Du bist in Sicherheit, Lestat«, sagte sie.
    Oder war das Davids Stimme?
    »Du bist bei uns«, sagte sie.
    Oder kam das von Armand?
    »Wir sind hier, bei dir.«
    »Schau dir das an, seine Füße. Er hat nur noch einen Schuh an.«
    »… seine Jacke, zerfetzt … da ist kein Knopf mehr dran.«
    »Schatz, Schatz.« Sie küßte mich.
    Zärtlich, ganz vorsichtig, um sie nicht

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