Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
müssen wir das bewahren. Und Wynken gehört mir, wenn sie ihn nicht will.«
»Aber sicher, ist mir doch klar. Lieber Himmel, Lestat, glaubst du, ich pflegte immer noch Kontakte mit der Talamasca? Natürlich könnte man ihnen in dieser Beziehung trauen, aber ich will keinerlei Berührung mehr mit meinen ›sterblichen Verbündeten^ wie du sie nennst. Nie wieder. Ich hege nicht das Verlangen, eine eigene Akte in deren Archiven zu haben, so wie du. Weißt du noch: Der Vampir Lestat! Für sie möchte ich nichts anderes sein als ihr Generaloberster, der an Altersschwäche starb. Und jetzt mach voran!«
Das klang leicht angeekelt, aber auch bekümmert. Ich hielt mir vor Augen, daß Aaron Lightner, sein verstorbener Freund, für ihn das letzte Bindeglied zur Talamasca gewesen war. Irgendeine ungeklärte Streitfrage hatte Lightners Tod überschattet, aber ich hatte nie erfahren, um was es ging.
Der Aktenschrank war im Nebenzimmer, zusammen mit mehreren Kassetten voller Papiere. Wir fanden die gesuchten Unterlagen auf Anhieb und gingen sie gemeinsam durch. Da ich ebenfalls ausgedehnte Besitztümer mein eigen nenne, sind mir juristische Schriftstücke nicht fremd und auch nicht die finanziellen Tricks der internationalen Banken. So erkannte ich rasch, daß Dora unanfechtbare Einkünfte vermacht worden waren, auf die auch zur Entschädigung für Rogers Verbrechen nicht zurückgegriffen werden konnte. Wegen der Fülle der Dokumente konnte ich im Moment nicht den genauen Wert abschätzen, aber es sah so aus, als könne Dora, wenn sie wollte, einen Kreuzzug damit finanzieren und Istanbul von den Türken zurückerobern.
Aus einigen Briefen entnahm ich auch das genaue Datum, an dem Dora vor zwei Jahren weitere Zuwendungen aus den Fonds abgelehnt hatte, von denen sie wußte. Was den Rest betraf, fragte ich mich, ob sie überhaupt eine Vorstellung von dessen Umfang hatte. Geld ist immer nur in großen Mengen interessant. In Mengen und mit entsprechender Phantasie. Wenn eins von beiden fehlt, kann man keine moralisch gültigen Entscheidungen treffen, meine ich wenigstens. Das klingt geringschätzig, ist es aber nicht. Geld ist Macht -Macht, die Hungrigen zu speisen und die Armen zu kleiden. Aber dessen muß man sich bewußt werden. Nun, Dora besaß jetzt jede Menge davon.
Einen kummervollen Moment lang dachte ich an mein geliebtes Gretchen - Schwester Margarete -, wie ich sie hatte unterstützen wollen und wie mein bloßer Anblick alles zerstört hatte - ich hatte mich aus ihrem Leben entfernt mit all meinem Gold noch in den Truhen. Lief es nicht immer so ab? Ein Heiliger, der die Armen speist, war ich nicht.
Aber Dora! Plötzlich dämmerte es mir - sie war jetzt meine Tochter! Meine Heilige, so wie sie es für Roger gewesen war. Jetzt hatte sie einen zweiten reichen Vater - mich!
»Was ist los?« fragte David mich irritiert. Er blätterte gerade einen Karton Papiere durch. »Hast du das Gespenst wieder gesehen?«
Beinahe wäre ich in einen meiner heftigeren Zustände verfallen, ich konnte mich gerade noch zusammenreißen. Ich antwortete nicht, aber ich sah jetzt alles ganz klar vor mir. »Beschütze Dora!« Natürlich würde ich sie beschützen, und ich würde sie auch irgendwie überzeugen, daß sie die Erbschaft annehmen könnte. Vielleicht hatte Roger bisher nicht die richtigen Argumente gehabt. Und nun war er ein Märtyrer, das hatte er richtig erkannt, als er sagte, mit seinem Tod habe er seine Schätze ausgelöst. Ich mußte es Dora wohl nur vernünftig erklären.
Doch dann wurde ich abgelenkt; denn da waren sie, die zwölf Bücher, jedes einzelne fein säuberlich in eine Plastikhülle geschweißt, standen sie aufgereiht auf einem kleinen Pult neben dem Aktenschrank. Ich wußte, das waren sie. Kleine weiße Schildchen mit Rogers ausgefallener Schrift klebten darauf: »W.d.W.«.
»Sieh mal«, sagte David. »Ich habe hier lauter Kaufverträge, das ist juristisch alles ganz in Ordnung, jede Menge Empfangsbestätigungen und Echtheitszertifikate. Ich denke, wir schaffen das jetzt alles weg.«
»Ja, aber wie und wohin?«
»Was denkst du? Deine Unterkunft in New Orleans kommt bestimmt nicht in Frage. Und in ein Lagerhaus können wir die Sachen auch nicht geben.«
»Richtig. Ich habe mich zwar hier in einem kleinen Hotel im Park eingemietet…«
»Du meinst doch nicht etwa das, das der Körperdieb ausfindig gemacht hatte? Du hast diese Adresse nicht aufgegeben? Das kann doch nicht wahr sein!«
»Ist unwichtig. Die
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