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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ansahen, war von meinen Bekannten immer verurteilt worden. Er hatte alle Sinnenfreuden verdammt, hatte den Wert jener Schule geleugnet, die einen nach der Meinung meines Herrn alles lehren konnte. »Ich möchte für jeden Menschen Gnade«, sagte Marius. Er bedeutete mir, ihm zu folgen, und wir schoben uns in eine Nebenstraße, fort von diesem grausigen Ort.
    »Selbst für diesen, der Botticelli dazu brachte, seine Gemälde dem Fegefeuer der Eitelkeiten zu überantworten?«, fragte ich. »Wie oft hast du mich auf Details seiner Bilder hingewiesen, um mir edle, unvergessliche Schönheit zu zeigen!«
    »Ich glaube, du wirst bis ans Ende aller Tage mit mir streiten!«, sagte Marius. »Ich bin entzückt, dass mein Blut dir in jeder Hinsicht Kraft verliehen hat, aber musst du jedes Wort von meinen Lippen in Frage stellen?« Er warf mir einen wütenden Blick zu, erlaubte jedoch einer nahen Fackel, sein halb spöttisches Lächeln zu beleuchten. »Einige Studenten glauben an diese Methode, dass aus dem ständigen Zwist zwischen Lehrer und Schüler tiefere Wahrheiten entspringen. Aber der Meinung bin ich nicht! Ich glaube, du solltest meine Lektion wenigstens für fünf Minuten in deinen Geist einsinken lassen, ehe du zum Gegenangriff übergehst.«
    »Du versuchst, dich über mich zu ärgern, aber es gelingt dir einfach nicht.«
    »Ach, ist das ein Durcheinander!« Es klang, als ob er fluchte. Er ging mir schnellen Schrittes voran. Die engen Gassen von Florenz waren fade, eher wie Korridore eines großen Hauses als städtische Straßen. Ich sehnte mich nach dem leichten Wind Venedigs, oder besser gesagt, mein Körper sehnte sich danach, aus Gewohnheit. Eigentlich war ich ganz fasziniert davon, hier zu sein. »Fühl dich nicht provoziert«, sagte ich. »Erklär mir lieber, warum sie sich gegen Savonarola wandten.«
    »Lass den Menschen nur genügend Zeit, dann wenden sie sich gegen alles. Er hatte für sich in Anspruch genommen, ein Prophet mit göttlicher Eingebung zu sein, hatte behauptet, dass der Jüngste Tag nahe sei, und das ist die älteste und langweiligste christliche Klage überhaupt, das kannst du mir glauben. Der Jüngste Tag! Das ganze Christentum als Religion basiert darauf, dass wir dem Jüngsten Tag entgegenstreben. Diese Religion lebt von der Fähigkeit der Menschen, die Irrtümer der Vergangenheit zu vergessen und sich für den Jüngsten Tag zu rüsten!«
    Ich lächelte, ein bitteres Lächeln. Ich wollte der heftigen Vorahnung Ausdruck verleihen, dass wir immer den Jüngsten Tag vor Augen hatten, dass das Gefühl in unseren Herzen verankert war, weil wir sterblich waren, als ich unvermittelt und in seiner ganzen Tragweite erkannte, dass ich nicht länger sterblich war, außer in dem Sinne, dass die ganze Welt sterblich war.
    Und mir kam es so vor, als ob ich nun instinktiv die Atmosphäre zweckdienlicher Düsternis erfasste, die meine Kindheit im fernen Kiew überschattet hatte. Ich sah wieder die lehmigen Katakomben, die halb begrabenen Mönche, die mich angefeuert hatten, mich ihnen zuzugesellen.
    Ich schüttelte es ab, und wie hell erschien mir nun Florenz, als wir in den großen, von Fackeln erhellten Domplatz, vor die gewaltige Kirche Santa Maria del Fiore einbogen!
    »Ah, hin und wieder hört mein Schüler doch zu«, sagte Marius mit ironischem Unterton. »Ja, ich bin mehr als froh, dass Savonarola nicht mehr unter den Lebenden weilt. Aber das Ende einer Sache zu begrüßen heißt nicht, die endlosen Grausamkeiten zu billigen, die zur menschlichen Geschichte gehören. Ich wünschte, es wäre anders. Öffentliche Opferung wird in jeder Hinsicht zur Groteske. Sie stumpft die Sinne der Bevölkerung ab. Und in dieser Stadt, mehr als anderswo, ist sie ein Schauspiel. Die Florentiner vergnügen sich daran wie wir an unseren Regatten und Prozessionen. Savonarola ist also tot. Nun, wenn sich je ein Sterblicher danach gedrängt hat, dann war er es, wenn man bedenkt, wie er das Ende der Welt vorhergesagt, Fürsten von seiner Kanzel herab verurteilt und große Künstler dazu verleitet hat, ihre Werke dem Feuer zu opfern. Zur Hölle mit ihm!«
    »Herr, sieh, das Baptisterium, komm, wir wollen uns die Türen ansehen. Die Piazza ist fast leer. Komm doch! Das ist unsere Chance, die Bronzearbeit zu bewundern.« Ich zerrte an seinem Ärmel. Er folgte mir und hörte auf, vor sich hin zu grummeln. Aber er war nicht er selbst.
    Was ich mir damals ansehen wollte, war ein Werk, das man auch heute noch in Florenz bewundern

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