Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
Thema zurückkam.
Er war zu geknickt, um zu antworten.
Endlich rappelte er sich auf, erhob sich aus den Kissen und kam zu mir herüber. »Lass uns ausgehen. Gehen wir zu Bianca. Wir verkleiden sie als Mann. Nimm deine schicksten Sachen mit. Sie muss für eine Weile aus ihren Salons entkommen.«
»Herr, dies mag dir ja einen herben Schock versetzen, aber Bianca macht das, wie viele Frauen, schon seit einer ganzen Weile. Sie schlüpft in Knabenkleider und zieht durch die Stadt.«
»Ja, schon, aber nicht in unserer Gesellschaft. Wir werden ihr die grässlichsten Stellen zeigen!« Er verzog sein Gesicht theatralisch. »Nun komm schon.«
Ich war aufgeregt.
Und genauso aufgeregt war Bianca, als wir ihr diesen netten Plan unterbreiteten. Wir platzten mit einem Arm voll feiner Kleider bei ihr herein, und sie schlüpfte sofort mit uns zum Umkleiden davon. »Was habt ihr da? Oh, ich soll heute Nacht Amadeo sein? Großartig!«, sagte sie. Sie schloss die Türen zu den Gesellschaftsräumen, wo der Besuch, wie oft schon, sich ohne sie belustigte. Einige Männer standen singend ums Virginal, ein paar andere führten hitzige Debatten über ihren Würfeln.
Bianca ließ ihre Röcke auf die Knöchel fallen und stieg nackt daraus hervor wie Venus aus dem Meeresschaum. Wir kleideten sie in blaue Strümpfe, Wams und Tunika. Ich zog ihr den Gürtel stramm, und Marius befestigte ihr Haar unter einem weichen Samtbarett. Dann trat er zurück und sagte:
»Du bist der hübscheste Junge in ganz Venezien. Ich habe das Gefühl, dass wir dich unter Einsatz unseres Lebens beschützen müssen.«
»Wollt ihr mich wirklich in die schlimmsten Spelunken mitnehmen? Ich will dahin, wo es gefährlich ist!« Sie warf die Arme hoch. »Gebt mir meinen Dolch. Ihr glaubt doch nicht, dass ich unbewaffnet gehe!«
»Ich habe genau die richtigen Waffen für dich dabei«, beruhigte Marius sie. Er hatte ihr einen Degen mit einem hübschen, diamantbesetzten Gurt mitgebracht, den er nun schräg über ihren Hüften befestigte. »Versuch mal, ihn zu ziehen. Das ist kein Schmuckdegen. Er ist zum Kämpfen gedacht. Komm schon.«
Sie griff das Heft mit beiden Händen und zog den Degen mit weitem Schwung aus der Scheide. »Wo ist der Feind?«, rief sie. »Er soll sich zum Sterben bereit machen.«
Ich schaute Marius an. Er schaute mich an. Nein, sie konnte keine von uns werden. »Das wäre zu selbstsüchtig«, flüsterte er mir ins Ohr. Ich konnte nicht anders, ich fragte mich, ob er mich jemals zu einem Vampir gemacht hätte, wenn ich nach meinem Kampf mit dem Engländer nicht dem Tode nahe gewesen, nicht vom Fieber verzehrt worden wäre.
Wir drei eilten die Stufen zum Kai hinunter, wo unsere Gondel wartete. Marius nannte die Adresse. Der Gondoliere wusste, dass das der Stadtteil war, wo sich die wüstesten der ausländischen Seeleute zum Trinken und Kämpfen trafen, und fragte entsetzt:
»Wollt Ihr ganz bestimmt dahin, Herr?«
Und Marius antwortete: »Aber ganz bestimmt.«
Während wir uns über den schwarzen Wasserspiegel fortbewegten, legte ich meinen Arm um meine zierliche Bianca. Und wie ich da in das Polster zurückgelehnt saß, fühlte ich mich unverletzlich, unsterblich, und war sicher, dass es nichts gab, was Marius oder mich je besiegen könnte, und dass Bianca in unserer Obhut immer gut aufgehoben wäre.
Wie Unrecht hatte ich doch.
Neun Monate blieben uns etwa nach unserer Reise nach Kiew. Neun, vielleicht auch zehn, es gibt kein besonderes Ereignis, an dem ich die Krise festmachen könnte. Nur eins lass mich noch sagen, ehe ich zu dem blutigen Desaster komme, nämlich, dass Bianca in diesen Monaten immer mit uns zusammen war. Wenn wir nicht den Spelunkenbrüdern nachspionierten, waren wir in unserem Haus, wo Marius Porträts von ihr malte, die sie als die eine oder andere Göttin zeigte oder als die Judith aus der Bibel, die den Kopf des Holofernes mit den Gesichtszügen des Florentiners - hielt, oder als die Jungfrau Maria, die hingerissen das Christuskind betrachtete, das Marius mit ebensolcher Perfektion malte wie alle seine anderen Bilder. Diese Gemälde - vielleicht existieren einige davon bis zum heutigen Tag.
Eines Nachts, als alle anderen schon schliefen, malte Marius noch, und Bianca sagte mit einem Seufzer: »Ich bin zu gern in eurer Gesellschaft. Ich würde am liebsten gar nicht mehr nach Hause gehen.« Hätte sie uns nur weniger geliebt! Wäre sie nur nicht bei uns gewesen an jenem fatalen Abend im Jahre 1499, kurz vor der
Weitere Kostenlose Bücher