Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
dass sie keinen Sinn ergaben und ich deshalb nicht antworten konnte. Im gleichen Moment hoben mich seine bösartigen Helfer aufs Neue hoch, sie lachten und sangen im Takt mit dem Chor, der seinen Gesang immer noch nicht eingestellt hafte: »Ins Feuer! Ins Feuer! Ins Feuer!«
»Nein!«, rief der Anführer. »Ich erkenne, dass er unseren Heiland tief und innig liebt.« Er hob die Hand. Die anderen lockerten ihren Griff, obwohl ich immer noch an Armen und Beinen gehalten in der Luft hing.
»Du bist ein gutes Wesen?«, flüsterte ich der Gestalt verzweifelt zu. »Wie kann das sein?« Ich weinte.
Er kam näher, beugte sich über mich. Wie schön er war! Sein Mund mit den sinnlich breiten Lippen formte einen perfekten Amorbogen, und nun bemerkte ich auch ihre satte, dunkle Tönung und sogar den Schatten des Bartes, der den unteren Teil seines Gesichts bedeckte und ihn wie einen echten Mann aussehen ließ. Seine hohe, weiße Stirn schien im Vergleich dazu aus Elfenbein geformt, mit breiten Schiären und einem spitzen Haaransatz, von dem die dunklen Locken zurückgestrichen waren und einen verblüffenden Rahmen für sein Gesicht formten.
Aber vor allen Dingen seine Augen, die Augen waren es, wie stets, die mich gefangen hielten, die großen ovalen, schimmernden Augen. »Kind«, flüsterte er. »Würde ich solche Schrecknisse ertragen, wenn ich es nicht für Gott täte?«
Ich weinte umso heftiger. Ich fürchtete mich nicht mehr. Mir war gleichgültig, dass ich vor Schmerz fast verging. Der Schmerz war rot und golden wie die Flammen zuvor und rann durch meinen Körper wie eine Flüssigkeit, aber wenn ich ihn auch spürte, so tat er mir doch nicht weh, und er machte mir nichts.
Ohne weiteren Protest, mit geschlossenen Augen, wurde ich in einen Gang getragen, wo die schlurfenden Füße meiner Träger ein leises Echo gegen niedrige Decken und enge Wände warfen. Dann ließen sie mich los, und ich rollte ein Stück über den Boden, drehte mein Gesicht dem Untergrund zu, traurig, dass ich auf einem Bündel alter Lumpen lag anstatt auf der guten, kühlen Mutter Erde, wo ich sie jetzt doch so sehr brauchte. Aber dann war auch das nicht mehr wichtig, und ich legte nur noch meine Wange auf das beschmutzte Leinen und trieb dahin, als läge ich im Schlaf.
Meine versengte Haut gehörte mir und gehörte mir doch nicht. Und dann seufzte ich aus tiefster Seele auf, in dem Wissen, dass meine armen jungen Freunde endgültig tot waren, dass das Feuer ihnen nicht lange zugesetzt haben konnte, dazu war seine Glut zu groß gewesen, und ihre Seelen waren bestimmt schon himmelwärts geflohen, wie Nachtigallen, die in den rauchigen Dunst aufstiegen.
Meine lieben Jungen waren nicht mehr im Diesseits, und niemand konnte ihnen mehr etwas antun. Alles, was Marius Gutes für sie getan hatte, die Lehrer, die Künste, die sie gelernt hatten, die Studien, die sie getrieben hatten, ihr Tanz, ihr Lachen, ihr Singen, die Bilder, die sie gemalt hatten - alles war dahin, und ihre Seelen hatten sich auf weichen, weißen Flügeln in den Himmel geschwungen. Wäre ich ihnen dorthin gefolgt? Hätte Gott die Seele eines Bluttrinkers in seinem goldenen, wolkenumkränzten Himmel empfangen? Hätte ich den grauenvollen Klang intonierender dämonischer Stimmen hinter mir gelassen für ein Reich voller Engelsgesänge? Wer auch in meiner Nähe w ar, warum ließ derjenige diese Gedanken zu, die er mit Sicherheit in meinem Geiste lesen konnte? Ich konnte die Gegenwart des Anführers spüren, dieses schwarzäugigen, mächtigen Geschöpfes. Möglicherweise war ich mit ihm allein. Wenn er diesen Dingen Sinn verleihen konnte, wenn er ihnen eine Bedeutung geben konnte und dabei die Monstrosität des Ganzen erhalten konnte, dann musste er ein von Gott gesegneter Heiliger sein. Vor mir sah ich Mönche, in Höhlen eingeschlossen, erdbeschmutzt und halb verhungert.
Ich drehte mich auf den Rücken, badete genüsslich in den roten und gelben Farbklecksen meiner Schmerzen und schlug die Augen auf.
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J emand sprach mit angenehmer, tröstender Stimme, sprach mich direkt an: »Die eitlen Werke deines Herrn sind alle verbrannt. Nichts als Asche ist von seiner gewaltigen Malerei geblieben. Gott vergebe ihm, dass er seine unübertrefflichen Fähigkeiten nicht in Seinen Dienst stellte, sondern in den Dienst der Welt, des Fleisches und des Teufels, ja, ich sage des Teufels, obwohl der Teufel unser Anführer ist, denn der Böse ist stolz auf uns, und es befriedigt ihn, wie wir uns
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