Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
alter Vampir einen neuen Zögling schuf, denn unsere Kräfte steigern sich mit der Zeit, und die Kräfte der ganz Alten sind zu überwältigend für die Jungen. Beweis: meine eigene Tragödie. Da ich von dem letzten bekannten Alten, von dem berühmten, schrecklichen Marius gemacht worden war, hatte ich die Kraft eines Dämons im Körper eines Kindes.
Viertens, dass kein Vampir einen anderen vernichten darf, außer dem Anführer des Ordens, der zu jeder Zeit bereit sein muss, die Ungehorsamen seiner Herde zu vernichten. Und dass der Anführer alle umherziehenden Vampire, die keinem Orden angehörten, vernichten muss, sobald er ihrer ansichtig wird.
Fünftens, dass kein Vampir seine wahre Natur oder seine magischen Kräfte einem Sterblichen enthüllen und ihn am Leben lassen darf. Kein Vampir darf jemals etwas zu Papier bringen, was diese Geheimnisse offen legt. Und nie dürfen Sterbliche den Namen eines Vampirs erfahren, und wenn ihnen ein Beweis für unsere Existenz in die Hände fallt, muss dieser um jeden Preis ausradiert werden, zusammen mit dem, der eine solche Verletzung des Göttlichen Willens zugelassen hat.
Es gab noch mehr. Wir hatten Rituale, wir hatten Beschwörungen, wir hatten reststehende Bräuche.
»Wir betreten keine Kirche, weil Gott uns sonst tot niedersinken lässt«, erklärte Santino. »Wir meiden das Kreuz, wir schauen es nicht an, und wenn unsere Beute nur ein Kreuz mit sich trägt, so genügt das schon, sie zu verschonen. Wir wenden unsere Augen und Hände von Medaillons mit der Abbildung der Heiligen Jungfrau ab. Wir scheuen vor den Abbildern der Heiligen zurück.
Aber wir stürzen uns mit inbrünstigem Feuer auf die, die ohne die schützenden Insignien der Kirche einhergehen. Wir schmausen, wann und wo wir wollen und mit aller Grausamkeit, und wir machen uns über die Unschuldigen ebenso her wie über die, die mit Schönheit und Reichtum übermäßig gesegnet sind. Aber wir prahlen nicht der Welt gegenüber damit und auch nicht untereinander.
Die Schlösser, die Fürstenhöfe und Ballsäle der großen Welt sind uns verschlossen, denn nicht anders als Ungeziefer, die Feuersbrunst oder der Schwarze Tod dürfen wir uns nie, niemals in die Geschicke derer einmischen, die Christus, unser Herr für jene vorgesehen hat, die er nach seinem Bilde schuf.
Wir sind die Plage, die im Schatten lauert, wir sind etwas Verborgenes, wir sind ewiglich.
»Und wenn unser Werk für Ihn getan ist, dann finden wir uns ohne die Wohltaten des Luxus oder Reichtums zusammen, an Orten, die wir uns unter der Erde zum Schlummern bereitet haben. Und nur dort, beim Licht von Feuer und Kerzen, treffen wir uns, um zu beten, um unsere Lieder zu singen und zu tanzen, ja, ums Feuer zu tanzen, um so unsere Willenskraft zu stärken und unsere Kraft mit unseren Brüdern und Schwestern zu teilen.«
Sechs lange Monate studierte ich diese Gesetze und Vorschriften, und zwischendurch wagte ich mich in die Hinterhöfe Roms vor und jagte zusammen mit den anderen, tat mich an den vom Schicksal Verlassenen gütlich, die nur zu leicht meine Opfer wurden. Ich durchforschte nicht mehr den Geist meiner Opfer nach einem Verbrechen, das mein raubtierhaftes Schlingen gerechtfertigt hätte. Ich hielt mich nicht mehr an die von Marius gelehrte Kunst des Bluttrinkens, die dem Opfer keinen Schmerz bescherte, noch schützte ich den elenden Sterblichen vor dem schrecklichen Anblick, den mein Gesicht, meine Hände, meine Fangzähne boten.
Eines Nachts erwachte ich, umgeben von meinen neuen Brüdern. Die grauhaarige Frau half mir aus meinem Bleisarg und sagte, dass ich mit ihnen kommen sollte. Gemeinsam begaben wir uns ins Freie, ins Sternenlicht. Sie hatten den Scheiterhaufen aufgeschichtet, wie in der Todesnacht meiner sterblichen Brüder.
Die Luft war kühl und vom Duft der Frühlingsblumen erfüllt. Ich hörte eine Nachtigall singen. Aus der Ferne klang das Flüstern und Murmeln der vor Leben brodelnden Stadt Rom. Ich wandte meine Augen der Stadt zu, ich sah ihre sieben Hügel, mit sachte flackernden Lichtern übersät. Darüber bemerkte ich die Wolken, mit Gold überzogen, hingen sie dicht über diesen verstreuten, lieblichen Lichtzeichen, als ob der dunkle Himmel schwanger wäre. Ich sah, dass sie sich schon im Kreis um das Feuer aufgestellt hatten, drei und vier Kinder der Finsternis hintereinander. Santino, in einer kostspieligen neuen Kutte aus schwarzem Samt - welch eine Übertretung der strengen Regeln! - trat vor und küsste mich
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