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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Fenster.
    Sie bemerkte meine Gegenwart beinahe so schnell, wie ich die ihre spürte - ziemlich furchteinflößend für mich mit meinem Alter und meinen Fähigkeiten. Sie erstarrte, ohne auch nur den Kopf zu wenden. Obwohl die boshaften Vampirschauspieler des Theaters auf ihrem Recht bestanden, Einzelgänger und Eindringlinge unter den Untoten beiseite zu schaffen, so gab ich, ihr Anführer, nach all der Zeit als fehlgeleiteter Heiliger doch einen Dreck um diesen Blödsinn. Ich beabsichtigte nicht, dem Wesen etwas anzutun, und gleichgültig warf ich ihr - leise, ganz nebenher - auf französisch eine Warnung zu: »Die Gegend ist geplündert! Das Jagdgebiet ist schon aufgeteilt. Such dir noch vor Sonnenaufgang eine sichere Stadt.«
    Kein Mensch hätte das hören können.
    Das Geschöpf gab keine Antwort, nur ihre Seidenkapuze rutschte nach vorn, da sie offensichtlich den Kopf neigte. Und dann drehte sie sich um und zeigte sich mir in den langen Strahlen goldenen Lichtes, das aus den vielen Fenstern hinter ihr fiel.
    Ich kannte sie. Ich kannte ihr Gesicht. Ich wusste es.
    Und in dieser entsetzlichen Sekunde - einer schicksalhaften Sekunde wurde mir klar, dass sie mich möglicherweise nicht erkannte, nicht so, mit den kurz geschnitten Haaren dieser Epoche, in diesen dunklen Hosen, dem faden Rock, nicht in diesem Augenblick, der so tragisch war, weil ich als Mann posierte und so gänzlich verwandelt war, so anders als der üppig ausstaffierte Knabe, den sie gekannt hatte. Sie konnte mich nicht erkennen!
    Warum rief ich nicht? Bianca!
    Aber ich konnte es nicht fassen, konnte es nicht glauben, konnte mein abgestumpftes Herz nicht zwingen, frohlockend zu glauben,was meine Augen mir zeigten, nämlich, dass das entzückende ovale Gesicht, das von dem goldenen Haar und der Seidenkapuze umrahmte Gesicht ihres war, ganz bestimmt, und sie war es, sie, deren Züge sich in meine fiebernde Seele gebrannt hatten, schon bevor der dunkle Zauber an mir gewirkt worden war –
    Bianca.
    Sie war fort! Kaum eine Sekunde sah ich noch ihre großen misstrauischen Augen, aufgestörter Vampirblick, nachdrücklich und drohend, wie kein Mensch ihn aussenden konnte, und dann war die Gestalt entschwunden, aus dem Wald verschwunden, aus der Umgebung, aus dem ganzen großen Park verschwunden, den ich schleppenden Schrittes durchsuchte. Dabei schüttelte ich den Kopf und murmelte vor mich hin, nein, das konnte sie nicht sein, sicher nicht, nein. Nein.
    Ich habe sie nie wieder gesehen.
    Ich weiß immer noch nicht, ob es wirklich Bianca war oder nicht. Aber jetzt, während ich das hier diktiere, glaube ich, was meine Seele mir sagt, ich glaube einer Seele - meiner Seele -, die nun geheilt ist, der Hoffnung nicht mehr fremd ist, dass es Bianca war! Ich kann sie mir zu deutlich vorstellen, wie sie sich in jenem Park nach mir umdrehte, und in dieser Vorstellung gibt es ein letztes, bestätigendes Detail - sie trug nämlich in jener Nacht draußen vor den Toren von Paris Perlen in ihrem blonden Haar. Ach, Bianca hatte Perlen so sehr geliebt, besonders gern hatte sie sich Perlenschnüre ins Haar geflochten! Und im Lichtschein des Landhauses hatte ich sie sehen können, mehrere Schnüre aus kleinen Perlen im blonden Haar, die aus dem Schatten der Kapuze hervorblitzten, und aus diesem Rahmen schaute die florentinische Schönheit, die ich nie vergessen konnte - als weißgesichtige Vampirfrau ebenso köstlich, wie sie gewesen war, als Fra Filippos Farben ihre Züge färbten.
    Damals fühlte ich keinen Schmerz. Es erschütterte mich nicht. Meine Seele war zu ausgezehrt, zu abgestumpft, zu gewohnt daran, alle Dinge nur als Bruchstücke aneinander gereihter, unzusammenhängender Träume zu befrachten. Sehr wahrscheinlich konnte ich e s mir einfach nicht gestatten, daran zu glauben.
    Aber heute bete ich, dass sie es war, meine Bianca, und dass jemand und du kannst sicher erraten, wer das sein soll - dass jemand mir sagen kann, ob es meine geliebte Kurtisane war.
    Konnte vielleicht e in Mitglied des verhassten mörderischen römischen Ordens, das ihr in die Nacht hinein folgte, ihrem Zauber nicht widerstehen? Entsagte es den finsteren Bräuchen und machte sie zu seiner ewigen Geliebten? Oder hat mein Herr, der, wie wir heute wissen, das grausige Feuer überlebte, sie auf der Suche nach Blut gefunden und hat sie unsterblich gemacht, damit sie ihm bei seiner Heilung zur Seite stand?
    Ich kann mich einfach nicht überwinden, Marius das zu fragen. Vielleicht tust du es. Und

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