Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
engen modischen Hosen, maßgeschneiderter farbiger Seidenweste und tailliertem Überrock aus schimmender Wolle, das Haar mit einem schwarzen Band zurückgenommen und in späterer Zeit auch über dem steifen, hohen, weißen Kragen kurz geschoren, dann erinnerte ich mich oft an jene vergeudeten Jahrhunderte widerlicher Rituale und dämonischer Träume, wie man sich vielleicht an eine lange, schmerzhafte Krankheit erinnert, die man in abgedunkeltem Zimmer mit bitterer Medizin und nutzlosen Beschwörungen durchgemacht hat. Das konnte doch nicht real gewesen sein, all das, diese zerlumpte Brut räuberischer Habenichtse, die wir gewesen waren, mit unseren Lobgesängen auf Satan in eisiger Düsternis …
Und all die Leben, die ich gelebt hatte, die Epochen, die ich erlebt hatte, erschienen mir noch viel körperloser.
Was lauerte hinter meinen feinen Spitzen, hinter meinen ruhigen, bedingungslosen Augen? Wer war ich? Gab es nicht einst eine wärmere Flamme, als die, die mein sparsames Lächeln erhellte, wann immer jemandem danach verlangte? Ich konnte mich nicht erinnern, dass in dieser Gestalt mit den sanften Bewegungen eine Person gelebt, geatmet hatte. Ein Kruzifix mit aufgemaltem Blut, die zuckersüße Abbildung der Jungfrau auf einem Gebetbuch, ein pastellfarbener Gipsheiliger, was waren sie mir nun? Nur kitschige Überbleibsel einer unkultivierten, unbegreiflichen Zeit, die ich inzwischen verworfen hatte, Überbleibsel, die in einem goldenen Kelch warteten oder furchterregend in einem Antlitz über lichtgeschmücktem Altar flammten.
Das alles sagte mir nichts mehr. Die Kreuze, die ich von jungfräulichen Hälsen riss, sie wurden eingeschmolzen, und ich trug sie als Ringe. Und Rosenkränze flogen zusammen mit anderem Tand in die Ecke, während diebische Finger, meine Finger, die Diamantknöpfe vom Hemd des Opfers stahlen.
Wir - das Théâtre des Vampires - überstanden die Revolution ohne größere Beeinträchtigungen, das Publikum beklatschte unsere eindeutig frivolen, morbiden Aufführungen unentwegt. Und während der achtzig Jahre als sein Leiter entwickelte ich eine stumme, verborgene Persönlichkeit, die ich mir auch bis ins späte 20. Jahrhundert bewahrte, nachdem das Theater schon längst Vergangenheit war. Dabei verdankte ich es meinem kindlichen Gesicht, dass meine Gegner, meine Möchtegern-Feinde (ich nahm sie selten ernst) und meine sklavisch an mir hängenden Vampirgenossen mich falsch einschätzten.
Ich war der schlimmste Anführer, den man sich denken kann, das heißt, ich war der gleichgültige, kaltherzige Anführer, der in allen Herzen Furcht aufrührt und sich nicht die Mühe macht, Liebe zu geben, und ich unterhielt das Theater der Vampire, wie wir es bis etwa 1870 nannten, bis Lestats Zögling Louis hereingeschneit kam, auf der Suc he nach Antworten auf uralte Fragen, die sein hochfahrender, unverschämter Schöpfer ihm nie gegeben hatte:
Woher kommen wir Vampire? Wer hat uns gemacht und warum? Ah, aber ehe ich mich über den berühmten, unwiderstehlichen Louis und seine kleine, hinreißende Liebste, das Vampirmädchen Claudia, auslasse, möchte ich noch etwas erzählen, das mir am Anfang des 19. Jahrhundert widerfuhr. Es hat vielleicht nichts zu bedeuten, möglicherweise verrate ich damit auch jemandes geheime Existenz. Ich weiß es nicht. Ich beziehe mich auch nur darauf, weil es in meiner Fantasie, wenn nicht sogar in Wirklichkeit, um jemanden geht, der in dieser Geschichte eine bemerkenswerte Rolle spielt.
Ich weiß nicht genau, in welchem Jahr es war. Ich kann nur sagen, dass die zarten, träumerischen Klavierstücke Chopins in Paris hoch verehrt wurden, dass George Sands Romane in Paris begehrt waren, und dass die Frauen bereits nicht mehr die schmalen, aufreizenden Kleider des Empire trugen, sondern Kleider mit aufgeplusterten Röcken und zierlicher Taille, wie man sie auf alten Daguerreotypien oft sieht. Das Theater florierte, und ich, sein Manager, war der Aufführungen überdrüssig geworden und wanderte oft herum, eines Nachts auch in dem Waldgebiet nahe Paris, nicht weit von einem Landhaus voller fröhlicher Stimmen und strahlender Kronleuchter. Und dort traf ich auf einen weiblichen Vampir.
Das sie einer war, erkannte ich sofort an dem Schweigen, dem fehlenden Geruch und der göttergleichen Anmut, mit der ihre bleichen Hände ein weites, fließendes Cape und üppige Röcke durch das dichte Gebüsch manövrierten. Ihr Ziel waren die strahlend erleuchteten, einladenden
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