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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Bäumen verstecken.« Wie konnte er wissen, was ich meinte? Dass ich über jene weit zurückliegende, verzweifelte Flucht sprach, die mich meiner klaren Erinnerung beraubte, einer Flucht durch wildes Grasland, mit dem geheiligten Bündel in meiner Obhut, dieses Bündel, das ich auswickeln und zwischen den Bäumen unterbringen musste … »Sieh doch, die Ikone.«
    Honig floss in mich hinein. Dick und süß. Er kam von einer kalten Quelle, doch das war unwichtig. Ich kannte die Quelle. Mein Körper war wie ein Becher, dessen Inhalt man umrührte, so dass sich, was bitter war, im Strudel der Flüssigkeit auflöste und verging, bis nur der Geschmack des Honigs blieb, zusammen mit einer schläfrigen Wärme. Als ich die Augen öffnete, lag ich in unserem Bett. Mein Körper war wieder kühl. Das Fieber war fort. Ich drehte mich auf den Rücken und richtete mich auf.
    Mein Gebieter saß an seinem Pult. Er überflog, was er offensichtlich gerade geschrieben hatte. Sein blondes Haar war mit einer Kordel zurückgebunden und legte so die ganze Schönheit seines Gesichts frei die gemeißelten Wangenknochen und die gerade, schmale Nase. Er sah mich an, und sein Mund vollbrachte das Wunder eines ganz gewöhnlichen Lächelns.
    »Jage nicht diesen Erinnerungen nach«, sagte er. Er sagte es so, als hätten wir, während ich schlief, die ganze Zeit über miteinander gesprochen. »Suche sie nicht in dieser Kirche in Torcello. Lass auch die Mosaiken in Sankt Markus sein. Wenn die Zeit reif ist, werden dir all jene schmerzhaften Geschehnisse wieder einfallen.«
    »Ich habe Angst vor der Erinnerung«, sagte ich.
    »Ich weiß«, antwortete er.
    »Wie könnt Ihr das wissen?«, fragte ich. »Sie lebt in meinem Herzen. Und das ist ein Schmerz, der nur mir gehört.« Es tat mir Leid, dass ich diesen anmaßenden Ton anschlug, doch was auch immer mein Verschulden war, diese Anmaßung brach sich dennoch immer häufiger ihre Bahn.
    »Zweifelst du denn daran, dass ich es weiß ? «, fragte er.
    »Ihr habt ungeheure Fähigkeiten. Wir wissen es alle, und wir sprechen nie darüber, und Ihr sprecht nie darüber.«
    »Warum vertraust du dann nicht mir, sondern Dingen, an die du dich nur halb erinnern kannst?«
    Er erhob sich von seinem Pult und kam zum Bett.
    »Komm«, sagte er. »Dein Fieber ist fort. Komm mit mir.« Er nahm mich mit in eine der vielen Bibliotheken, die der Palazzo beherbergte. Alle waren mit unordentlich verstreuten Manuskripten übersät, und Bücher häuften sich in großen Stapeln. Unser Herr arbeitete nur selten, wenn überhaupt, in diesen Räumen. Er legte dort seine Neuerwerbungen ab, damit wir Jungen sie katalogisieren konnten. Nur was er gerade benötigte, nahm er mit zu seinem Schreibtisch in unserem Zimmer.
    Nun ging er an den Regalen entlang, bis er eine Mappe fand, ein dickes, schlaffes Ding aus vom Alter vergilbtem Leder, dessen Ecken ganz abgestoßen waren. Seine weißen Finger fuhren glättend über eine große Seite aus Pergament. Er legte sie auf den eichenen Arbeitstisch vor mich hin. Ein Gemälde, sehr alt.
    Ich sah darauf eine gewaltige Kirche mit vergoldeten Kuppeln, so schön, so majestätisch … Kunstvolle Lettern zierten das Bild. Ich kannte die Lettern. Doch mein Gedächtnis und meine Zunge versagten gleichermaßen.
    »Kiev Rus«, sagte er. Kiev Rus.
    Unerträgliches Entsetzen überfiel mich. Ehe ich mich zurückhalten konnte, sagte ich: »Das ist ein Trümmerfeld, niedergebrannt. Den Ort gibt es nicht mehr. Es gibt dort kein Leben mehr, anders als in Venedig. Der Ort ist zerstört, nur Kälte und Schmutz und Hoffnungslosigkeit herrschen. Ja, genauso ist es.« Mir war schwindelig. Ich hatte ein Gefühl, als gäbe es einen Ausweg aus dieser Trostlosigkeit, nur war dieser Weg kalt und dunkel, und er rührte auf gewundenen Pfaden in eine Welt ewiger Finsternis, wo es einzig den Geruch der nackten Erde gab, der an Händen, Haut und Kleidern haftete.
    Ich schreckte zurück und rannte vor meinem Herrn davon. Durch den ganzen Palazzo rannte ich.
    Ich rannte die Stufen hinab und durch die dunklen unteren Räume, die sich zum Kanal hin öffneten. Als ich zurückkehrte, fand ich meinen Herrn allein in unserem Schlafraum. Er las, wie gewöhnlich. Es war das Buch, das er in letzter Zeit besonders liebte, Tröstungen der Philosophie von Boethius, und als ich eintrat, schaute er verständnisvoll auf. Ich stand vor ihm und grübelte über meine schmerzlichen Erinnerungen. Ich konnte sie einfach nicht fassen. Dann sollte es

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