Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
seine wahre Zuneigung, sanft wie Blütenblätter, Huldigungen, mit denen er mein Gesicht und mein Haar überhäufte. »Ach, mein wunderschöner Amadeo, ach, mein Kind«, hauchte er.
»Ihr sollt mich lieben, lieben, lieben«, flüsterte ich. »Ihr sollt mich lieben und mich mit in Eure Welt nehmen. Ich gehöre Euch.« Ganz still hielt er mich im Arm. Schläfrig hing ich an seiner Schulter. Durch den Saal wehte Zugluft, jedoch so sacht, dass sich die schweren Wandbehänge nicht bewegten, auf denen die französischen Edelleute in ihrem ewigen, grün belaubten Wald dahintrieben, zwischen Jagdhunden, die in alle Ewigkeit bellten, und Vögeln, die immerzu sangen.
Schließlich ließ Marius mich los und trat zurück. Mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern entfernte er sich von mir. Dann winkte er mir mit einer trägen Geste, ihm zu folgen, aber er verließ den Raum viel zu schnell.
Ich rannte hinter ihm her, die Stufen hinab auf die Straße. Das Portal war geöffnet, als ich unten ankam. Der kalte Wind blies mir die Tränen fort. Er blies auch die üble Hitze des Raumes fort. Ich rannte ohne Einhalt die gepflasterten Kais entlang, über die Brücken und immer noch ihm nach bis zum Markusplatz. Erst an der Mole holte ich ihn ein. Da ging er, ein großer Mann mit rotem Kapuzenumhang, an der Markuskirche vorbei auf dem Weg zum Hafen. Weiter rannte ich, ihm nach. Der Wind von der See war eisig kalt und sehr heftig. Er pustete mich durch und ich fühlte mich doppelt gereinigt. »Verlasst mich nicht, Herr!«, rief ich. Die Worte wurden vom Wind verschluckt, doch er hatte sie gehört.
Er blieb stehen, als hätte ich das tatsächlich bewirkt. Er drehte sich um und wartete auf mich, dann nahm er die Hand, die ich ihm entgegenstreckte.
»Herr, hört Euch an, was ich so mühsam gelernt habe«, sagte ich, »und dann urteilt darüber.« Ich versuchte hastig, zu Atem zu kommen, und fuhr dann fort: »Ich sah, dass Ihr von den Übeltätern trinkt, die Ihr in Eurem Innersten eines schlimmen Vergehens wegen verurteilt hattet. Ich sah, dass Ihr Euch daran gütlich tatet, wie es in Eurer Natur liegt, ich sah, dass Ihr das Blut trankt, welches Ihr zum Leben braucht. Und inmitten dieser Welt voller Übel existiert Ihr, in diesem Dschungel, in dem die Menschen nicht besser sind als Tiere. Und sie bieten Euch Blut, das für Euch ebenso wohl schmeckend und nahrhaft ist wie das der Schuldlosen. Ich verstehe es nun. Und dass ich es verstehe, das wolltet Ihr erreichen. Und jetzt ist es geschafft.«
Sein Gesicht war unbewegt. Er betrachtete mich jedoch ganz intensiv. Mir kam es so vor, als erlösche das brennende Fieber in ihm schon nach und nach. Die Fackeln entlang der Bogengänge warfen ihr Licht auf sein Gesicht, und es wurde bleicher und hart wie zuvor. Die Schiffe im Hafen knarrten. Aus der Ferne tönte Gemurmel und Rufen herüber, vielleicht von denen, die nicht schlafen konnten oder nie schlafen.
Ich schaute furchtsam zum Himmel auf, weil ich glaubte, das tödliche Licht würde bald erscheinen. Dann wäre er fort.
»Wenn ich wie Ihr Blut trinke, das von Übeltätern und von denen, die ich überwältigen kann, werde ich dann wie Ihr werden, Herr?« Er schüttelte den Kopf. »Mancher Mann hat schon das Blut seiner Mitmenschen getrunken, Amadeo«, sagte er leise, aber mit ruhiger Stimme. Seine Vernunft, seine Manieren, sein innerstes Selbst hatten ihn wieder. »Würdest du bei mir bleiben wollen, mein Schüler sein, mein Liebster?«
»Ja, Herr, für immer und in Ewigkeit, oder so lange Zeit, wie die Natur uns gibt.«
»Oh, ich habe die Worte nicht leichtfertig gewählt. Wir sind unsterblich. Und nur ein Feind kann uns vernichten - das ist Feuer, so wie es dort an der Fackel brennt, oder die aufgehende Sonne. Der Gedanke ist wunderbar beruhigend, dass es schließlich den Sonnenaufgang gibt, wenn wir irgendwann dieser ganzen irdischen Welt müde sind.«
»Ich gehöre Euch, Herr.« Ich drückte ihn fest an mich und versuchte, ihn mit Küssen zu besiegen. Er nahm sie hin und lächelte sogar, doch er bewegte sich nicht.
Aber als ich aufhörte und meine Rechte zur Faust ballte, als wollte ich ihn schlagen - was ich nie über mich gebracht hätte -, gab er zu meinem Erstaunen nach.
Er wandte sich mir zu und zog mich, vorsichtig wie stets, in seine mächtigen Arme.
»Amadeo, ich kann ohne dich nicht weiterleben«, sagte er. Seine Stimme klang verzweifelt und zaghaft. »Ich wollte dir das Böse zeigen und keine Belustigung. Ich wollte,
Weitere Kostenlose Bücher