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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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dass du erkennst, wie sündenbehaftet der Preis ist, den ich für meine Unsterblichkeit zahlen muss. Und das habe ich getan. Doch indem ich das tat, erkannte ich es selbst, und meine Augen sind geblendet, und ich bin verletzt und müde.«
    Er lehnte seinen Kopf an meinen und hielt mich fest.
    »Tut mit mir, was Ihr wollt, Herr«, sagte ich. »Lasst mich leiden, mich nach der Gabe verzehren, wenn Ihr wollt. Ich bin ein Tor, für Euch. Ich gehöre Euch.«
    Er ließ mich los und küsste mich feierlich. »Vier Nächte, mein Kind«, sagte er. Er zog sich zurück, dabei küsste er seine Fingerspitzen und legte sie an meine Lippen. Ein letzter Kuss, dann war er fort. »Ich muss einer uralten Pflicht folgen. Vier Nächte. Bis dann.«
    Ich blieb in der kältesten Stunde des frühen Morgens allein zurück, allein unter dem verblassenden Nachthimmel. Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihm nachzuschauen.
    Zutiefst niedergeschlagen ging ich zurück durch die engen Gassen, über schmale Brücken, wanderte mitten hinein in die erwachende Stadt, ich wusste nicht, warum.
    Ich war nur erstaunt, als ich erkannte, dass ich zum Haus der Getöteten zurückgekehrt war. Stärker erstaunt war ich allerdings darüber, dass das Portal immer noch offen stand, als wenn jeden Moment ein Diener erscheinen könnte.
    Aber es kam keiner.
    Langsam wandelte sich der Himmel zu einem stumpfen Weiß und dann zu bleichem Blau. Nebel kroch über den Rand des Kanals. Ich überquerte die schmale Brücke, die zum Portal rührte, und stieg abermals die Treppen hinauf. Pudriges Licht drang durch die Fenster mit den leichten, hölzernen Jalousien. Ich fand den Bankettsaal, in dem die Kerzen immer noch brannten. Der intensive Geruch nach Tabak und heißem Wachs und scharf gewürzten Speisen hing in der Luft. Ich ging hinein und untersuchte die toten Männer, die noch lagen, wie wir sie verlassen hatten, zerzaust. Die Haut schon wie Wachs, mit einem Stich ins Gelbliche, waren sie eine Beute für Mücken und Fliegen.
    Man hörte keinen Laut, nur das Summen der Insekten.
    Seen von verschüttetem Wein waren auf dem Tisch getrocknet. An den Leichen sah man keine Spuren eines gewaltsamen Todes. Mir war wieder übel, so übel, dass ich zitterte, und ich atmete tief ein, um nicht würgen zu müssen. Jetzt erst wurde mir klar, warum ich zurückgekommen war.
    Wie du wahrscheinlich weißt, trugen die Männer zu jener Zeit eine Art kurzes Cape, das manchmal direkt an dem Wams angenäht war. Ein solches brauchte ich nun. Ich fand es an dem Wams des bäuchlings daliegenden Buckligen und riss es ab. Es war ein glockiger Umhang, kanariengelb, mit weißem Fuchspelz an den Rändern und einem Futter aus schwerer Seide. Ich verknotete das Ding, so dass es wie ein geräumiger Sack war, und dann ging ich an der Tafel entlang und sammelte alle Weinkelche ein, aus denen ich zuerst die Reste leerte und sie dann in den Sack steckte, der bald schon von dem roten Wein befleckt war, und auch von Fett, weil ich ihn auf dem Tisch abgesetzt hatte. Als ich fertig war, schaute ich mich um, ob ich auch keinen Kelch übersehen hatte. Nein, ich hatte sie alle. Ich begutachtete die Toten - meinen schlafenden Rotschopf Martino, dessen Gesicht in einer Weinpfütze auf dem nackten Marmor ruhte, und Francesco, von dessen Schädel ein wenig schon gerinnendes Blut sickerte. Die Fliegen schwirrten und summten um dieses Blut, nicht anders als um die fettige Lache, in der Reste des gebratenen Schweines schwammen. Eine ganze Armee kleiner, schwarzer Käfer, nichts Ungewöhnliches in Venedig, das Wasser trug sie heran, marschierte über den Tisch auf Martinos Gesicht zu.
    Sanftes, wärmendes Licht floss durch die Tür zum Gang. Der Morgen war gekommen.
    Ich ließ meine Augen ein letztes Mal über die Szene gleiten, und damit brannten sich alle Einzelheiten auf ewig in mein Gedächtnis. Dann ging ich hinaus und nach Hause.
    Die Jungen waren schon wach und eifrig beschäftigt, als ich heimkam. Ein alter Zimmermann war gekommen und reparierte die Tür, die ich mit der Axt zerschmettert hatte.
    Ich übergab den sperrigen Beutel mit den klappernden Bechern der Magd. Sie nahm ihn schlaftrunken entgegen, ohne eine Bemerkung. In meinem Innern zog sich etwas zusammen, eine Art Übelkeit, ein jähes Gefühl, als ob ich zerspringen müsste. Mein Körper schien ein zu kleines, zu unvollkommenes Gefäß für all das, was ich erfahren hatte, für das, was ich fühlte. In meinem Kopf pochte es. Ich hätte mich gern

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